Gelassenheit trainieren

Lohmar

Blau erscheint rot, rot ist grün, grün ist gelb, gelb ist blau. Die Sachbearbeiterin, der Hausmeister, die Erzieherin und die Bibliothekarin – und das ist kein Witz – schlagen sich auf die Schenkel, sie klatschen in die Hände, stampfen auf mit links oder heben den Arm, je nachdem worauf Lara Görtner auf dem Plakat zeigt. Morgens um Acht rauchen die Köpfe im Rathaus, müssen die Gehirne blitzschnell trennen: Lesen sie noch b-l-a-u oder sehen sie schon rot?

Die Zehn in der Runde sind keine Anfänger mehr und wedeln passend mit Händen und Füßen. Was das Ganze soll, hat Psychologin Lara Görtner vermittelt: Unsere grauen Zellen lesen zuerst das Wort und erkennen dann die Farbe, ganz automatisch. Müssen die Buchstaben ausgeblendet werden, wird das Denkvermögen aktiviert – ein Ziel des 15-wöchigen Programms „Fit im Job“ für ältere Beschäftigte.

„Wer rastet, der rostet“, heißt es kurz und knapp im Faltblatt der Universität Bonn zum Forschungsprojekt für die über 55-Jährigen. „Wir gehören nicht zum alten Eisen“, so erlebt Beate Gritzan die Freitagmorgenstunde.

Söhne sind begeistert

An dem Forschungsprojekt der Universität Bonn herrscht großes Interesse. Es läuft bis Ende 2015 und ist ausgebucht. Neben der Stadt Lohmar beteiligen sich unter anderem die Stadt Troisdorf, die Sparkasse KölnBonn, die Telekom und das Troisdorfer Unternehmen Silverplastics.

„Fit für den Job“ ist für die Teilnehmer kostenlos, die Finanzierung trägt die Hans-Hermann- Voß-Stiftung. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lara Görtner vom Institut für Psychologie, Abteilung Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie, führt die Studie unterstützt von Masterstudentin Lea Teresa Jendreizik durch. Das Training findet in der Regel im Betrieb statt, in Lohmar läuft es zur Hälfte in der Dienstzeit und zur anderen in der Freizeit.

Dass die wöchentlichen Treffen Spaß machen und zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz beitragen, das ergeben schon die ersten Befragungen. Am Ende sollen ein Lernfähigkeitstest und zwei Konzentrationsübungen zeigen, ob der Kurs etwas gebracht hat für die geistige Fitness. Erst dann gibt es eine Fortsetzung. (coh)

Sie hat, angestoßen durch die Treffen, mal zu Hause notiert, was sie alles kann. „So viele Kurse habe ich belegt, so viele Zertifikate gemacht“, sagt sie und schwenkt die zwei dicht beschriebenen Din-A4-Blätter. „Und das ist noch längst nicht alles.“ Mehr Selbstbewusstsein, das nimmt die gelernte Versicherungskauffrau, die – nach Kinderpause, ehrenamtlicher Arbeit und mehreren Jobs – wieder Fuß gefasst hat und nun als Quereinsteigerin fest im Kindergarten beschäftigt ist, auf jeden Fall mit in den Arbeitsalltag.

Andere brauchen mehr Zuspruch, wie die Teilnehmerin die ganz niedergeschlagen meint: „Ich bin ja doch nur die kleine Tippse, völlig talentfrei.“ Dabei haben die Älteren eindeutige Stärken, das versucht Masterstudentin Lea Teresa Jendreizik, die mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Görtner die Gruppe leitet, zu vermitteln. „Uns trennen 30 Jahre Lebenserfahrung.“ Im Rückblick, beim Ausfüllen des „Experten-Passes 55 plus“, erkennt so mancher seine Neigungen und Fähigkeiten, und dass er auch aus negativen Erlebnissen, sei es im Beruf oder im Privatleben, etwas Positives mitgenommen, etwas gelernt hat. Die Urteilsfähigkeit nehme zu mit den Jahren, auch die Teamfähigkeit, die Zuverlässigkeit, die sprachliche Gewandtheit, das sei der aktuelle wissenschaftliche Forschungsstand, so Görtner. Die Defizittheorie, lange Zeit von der Forschung vertreten, sei von gestern. Intelligenz und Lernfähigkeit blieben im Alter gleich, und dem Schwund von Muskelkraft, Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeit sowie Sinnesleistungen (sehen, hören, tasten) könne jeder entgegenwirken.

Koordinations- und Konzentrationsübungen bringen die Teilnehmer in Bewegung, wobei die Geübten das Tempo erhöhen sollen, rät Görtner: „Sonst bringt das nichts fürs Gehirn.“ Sie legt Golfbälle auf den Tisch, immer zwei sollen zuerst in der rechten, dann in der linken Hand gedreht werden, im Uhrzeigersinn und entgegengesetzt. Gar nicht so einfach, immer wieder fällt ein Ball laut klackend auf Tisch oder Boden. Die Psycho-Trainerin holt einen roten Gummiball hervor, der die Runde rechtsherum macht.

Anti-Stress-Übungen für zu Hause

„Den Nachbarn merken“, ruft Jendreizik. Denn jetzt laufen die Teilnehmer durcheinander, müssen den Ball aber weiterhin ihrem früheren Partner zuwerfen. Wieder zurück in der alten Runde kommt ein zweiter, ein grüner Ball ins Spiel, der linksherum geworfen wird. „Und nun mit beiden Bällen und durcheinander.“ Das nennt sich Chaos-Spiel. Trifft. Sagt noch jemand, die Generation Ü 55 ist nicht offen für Neues?

Bibliothekarin Doris Pastoors nähert sich nicht nur im Kurs dem japanischen Brettspiel „Go“: „Meine Söhne sind ganz begeistert.“ Wilfried Wietecki und andere machen auch daheim die Anti-Stress-Übungen, „um im Job gelassener zu werden“. Nach dem Projekt, das mit einem dreiteiligen Test endet, soll nicht Schluss sein, sagt Hauptamtsleiterin Gabriele Willscheid, die auch andere Rathaus-Beschäftigten miteinbeziehen möchte: „Vieles können wir in der bewegten Mittagspause fortsetzen.“

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