Früher Unterrichtsbeginn in der Kritik – Forscher: Prüfungen nicht vor 11 Uhr

MÜNCHEN. Der Chronobiologe Till Roenneberg, Professor am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat gefordert, den Unterrichtsbeginn flexibel zu regeln und Klassenarbeiten erst ab 11 Uhr schreiben zu lassen. Der jetzige frühe Schulbeginn stelle ein „biologische Diskriminierung“ dar, die „Spätschläfer“ benachteilige – und ihnen Bildungschancen verwehre, erklärte er in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Fr viele Schler beginnt der Unterricht zu ihrer inneren Mitternacht, meint der Chronobiologe. Foto: Frank Stahlberg / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Für viele Schüler beginnt der Unterricht zu ihrer „inneren Mitternacht“, meint der Chronobiologe. Foto: Frank Stahlberg / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Auf die Frage, ob es morgens übermüdeten Schülern nicht einfach helfen würde, früher zu Bett zu gehen, antwortete Roenneberg: „Nein. Die innere Uhr macht hier etwas ganz Gemeines, was besonders Jugendliche betrifft, die man früh ins Bett schickt. Sie gibt dem Menschen ein Schlaffenster vor und sorgt dafür, dass man zwei bis drei Stunden, bevor dieses Fenster aufgeht, nicht gut einschlafen kann – auch wenn man sehr müde ist. Die innere Uhr fährt dann nochmal die gesamte Physiologie hoch, deshalb haben wir abends auch eine leicht erhöhte Körpertemperatur.“

Bei Kindern sei die innere Uhr „früh dran“, sie seien also im Durchschnitt frühmorgens wach. Mit den Jahren verschiebe sich das Fenster nach hinten – bei Frauen bis zum Alter von etwa 19,5, bei Männern bis zum Alter von etwa 21 Jahren. Roenneberg: „Für Kinder ist der Schulbeginn um 8 Uhr also noch nicht so schlimm. Kritisch wird es ab etwa 14 Jahren. 19-jährige müssen teils während ihrer inneren Mitternacht am Unterricht teilnehmen. Wenn sie ausschlafen dürften, wären sie deutlich zugänglicher und aufnahmefähiger.“ So ließe sich nachweisen, dass Prüfungsnoten vom Chronotypus abhingen – also davon, ob der Schüler Früh- oder Spätschläfer sei. „Der Schulbeginn um 8 Uhr stellt eine echte biologische Diskriminierung dar. Überspitzt gesagt entscheidet sich dadurch, ob jemand nach dem Abitur Medizin studieren kann oder nicht“, sagte der Psychologe.

Er forderte: „Langfristig müsste man das ganze System ändern und den Schulzeitbeginn zumindest für ältere Schüler nach hinten verlagern. Da das aber kompliziert ist und auch noch eine Weile dauern wird, gäbe es auch kurzfristige Verbesserungsmöglichkeiten. Man könnte zum Beispiel dafür sorgen, dass Schüler ab 16 Jahren keine Prüfungen mehr vor 11 Uhr schreiben müssen. Noch besser wäre es, diese Regel auf die gesamte Schulzeit anzuwenden. Denn Frühtypen sind um elf Uhr gewöhnlich noch leistungsfähig und Spättypen bekämen so die Chance, bessere Noten zu schreiben.“

Aus biologischer Sicht wäre es am besten, in der Unterstufe um 8, in der Mittelstufe um 9 und in der Oberstufe um 10 Uhr mit dem Unterricht zu beginnen. Roenneberg: „Bevor das aber durchgesetzt wird, sollten Schulen und Lehrer dafür sorgen, dass alles, was draußen gemacht werden kann, auch draußen gemacht wird. Denn unsere Großeltern haben zwar gesagt, dass frische Luft müde macht. Aber heute weiß man: Draußen bekommt der Körper auch eine Menge Licht und kann dadurch im Endeffekt früher müde werden.“ News4teachers

Hier geht es zum Interview mit Roenneberg in der „Süddeutschen Zeitung“.

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