Forschung: Labor trifft Leben

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Juniorprofessorin Jule Specht forscht über das Alter, das Glücklichsein und die Liebe. Dafür wird sie vom Land geehrt

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02.02.15, 02:40

Forschung

Juniorprofessorin Jule Specht forscht über das Alter, das Glücklichsein und die Liebe. Dafür wird sie vom Land geehrt

Von
Laura Réthy

Die junge Frau, die sich mit dem hohen Alter beschäftigt, sitzt in einem kleinen Büro in der sogenannten Silberlaube der Freien Universität in Dahlem. Der Raum mit der Nummer JK 26/122d liegt versteckt in den verwinkelten Gängen. In den Fluren liegt der Teppichboden lose herum, es wird gerade gebaut. Das Büro ist ihr persönliches, auch das Namensschild am Türrahmen: Prof. Dr. Jule Specht, Juniorprofessorin. Arbeitsbereich Psychologische Diagnostik und Differentielle und Persönlichkeitspsychologie.

Jule Specht ist 28 Jahre alt. Als sie aus Leipzig an die FU nach Berlin berufen wird, ist sie 26. An der Wand über ihrem Schreibtisch hängen zwei gerahmte Porträts. "Meine Kinder", sagt sie lächelnd. Ihre neunjährige Tochter Charlotte und ihr siebenjähriger Sohn Leo. Mehr möchte sie dazu nicht sagen. Die braunen Haare hat Jule Specht zu einem kurzen Pferdeschwanz zurückgebunden. Blaues Jackett, rot-weiß-geringeltes Shirt, hellroter Lippenstift. Rechts unter der Unterlippe trägt sie ein kleines silbernes Piercing. Ende Januar hat Jule Specht im Roten Rathaus den Berliner Wissenschaftspreis 2014 für Nachwuchswissenschaftler überreicht bekommen. Der Regierende Bürgermeister hat gratuliert. "Ich hätte nicht gedacht, dass der Preis so prominent ist", sagt sie lächelnd.

"Wahnsinn, was passiert denn da?"

Sie hat den Preis für das bekommen, woran ihr wissenschaftliches Herz hängt: die Erforschung der Persönlichkeitsveränderung bei Menschen im hohen Alter. Ein wenig erforschtes Thema und eines, das auch Berlin in Zukunft betreffen wird. Denn im Jahr 2030 werden laut Prognosen 23 Prozent der Berliner 65 Jahre und älter sein, sieben Prozent über 85 Jahre. Insgesamt weit mehr als eine Million Menschen.

Um auf diese Menschen richtig einzugehen, ist es wichtig zu wissen, was für Persönlichkeiten sie haben. Was sie bewegt, was sie sich wünschen. Hier kommt Jule Specht ins Spiel. Zwar noch auf theoretischer Ebene, denn sie betreibt Grundlagenforschung. Doch die ist immer Voraussetzung für eine praktische Anwendung. Die 28-Jährige konnte in einer Studie im Rahmen ihrer Dissertation nachweisen, dass nicht nur die Persönlichkeit junger Erwachsener ziemlich instabil ist, sondern sie sich auch ab einem Alter von 70 Jahren noch einmal komplett umkrempeln kann. "Ich saß vor den Ergebnissen und dachte: Das ist ja Wahnsinn, was passiert denn da?" Aus dem Rebell, der wenig gewissenhaft durchs Leben gegangen ist, kann im Alter ein gesellschaftlich angepasster gewissenhafter Mensch werden. Und umgekehrt. Das war eine erstaunliche Entdeckung, denn bislang ging man davon aus, dass die Persönlichkeit umso stabiler wird, je älter wir werden.

Seitdem lässt Jule Specht das Thema nicht mehr los. Sie möchte von ihrer Faszination erzählen. Von ihrer Arbeit, von ihrem Fach. Nicht nur ihren Studierenden, sondern auch der Öffentlichkeit. "In Deutschland wollen deutlich mehr Menschen Psychologie studieren, als sie können. Ich finde es total wichtig, dass man diesem Interesse entgegenkommt", sagt sie. Schließlich werde das, was erforscht wird, auch von der Gesellschaft getragen. Auch dafür hat Jule Specht den Berliner Wissenschaftspreis bekommen. Dafür, dass sie aus den Studien Schlussfolgerungen für das Leben zieht und diese raus in die Welt abseits des Wissenschaftsbetriebs trägt. Seit 2010 schreibt sie an einem eigenen Blog. "Jule-schreibt.de", heißt er. Was eigentlich sehr gut passt, denn sie wollte lange Zeit Journalistin werden. Aber irgendwie hatte der Beruf dann doch zu wenig mit Mathematik zu tun.

Die Liebe und das Leben

Auf ihrem Blog schreibt Jule Specht über das Leben und die Liebe aus Sicht der Psychologie: "labor meets leben" und "labor meets liebe" hat sie die Kategorien überschrieben. Neben dem Alter forscht die 28-Jährige auch zu Wohlbefinden und Liebe. Was macht Menschen glücklich und warum entscheiden sie sich für den einen als Partner und gegen den anderen? Über die Liebe hat sie sogar ein Buch geschrieben. Fragt man sie nach ihrem Glück, antwortet sie als Wissenschaftlerin. "Im Alltagsgebrauch ist Glück ein schwammiges Konstrukt", sagt sie. Sie erklärt, wie die Psychologie das Glück definiert: Es besteht aus einer kognitiven und einer emotionalen Komponente. Die kognitive könnte man mit Zufriedenheit beschreiben. Dabei geht es um die Zufriedenheit mit dem Beruf, der Familie, dem Freundeskreis. Bei der zweiten Komponente geht es darum, wie viele positive Empfindungen man hat. Ob man fröhlich ist und sich am Leben erfreut oder eben nicht. "Perfektes Wohlbefinden ist, wenn man zufrieden in seinem Leben ist, häufig fröhlich und selten traurig", fasst Jule Specht, die Glücksforscherin, zusammen. Ist sie glücklich? "Ich würde schon sagen, dass ich eher ein hohes Wohlbefinden habe, im Vergleich zu anderen Personen."

Der Wissenschaftspreis hat sie zum Beispiel glücklich gemacht. Es macht sie froh, dass sie für ihre Arbeit ausgezeichnet wurde, denn die Konkurrenz im Wissenschaftssystem ist groß. "Und ich habe nur eine befristete Stelle und bin ziemlich festgelegt auf einen Weg in der Wissenschaft", sagt die 28-Jährige. "Einen richtigen Plan B sehe ich nicht." Ist sie stolz auf die Auszeichnung? Nein, sagt sie. Sondern einfach froh, sich jeden Tag in Sachen stürzen zu können, die ihr Spaß machen, ohne dass am Abend jemand fragt, was sie vorzuweisen hat. Könnte sie es sich erträumen, hätte sie gern eine Professur auf Lebenszeit, am liebsten in Berlin, und würde sich der Erforschung des Alters widmen. "Dann müsste ich mir nicht immer Gedanken über die Zukunft machen. Das löst nämlich negative Emotionen aus." Manchmal wackelt dann auch ihr Glück.

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