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Forscher entdecken Medikament fürs Vergessen

Von Dominik Osswald, Martin Hicklin.
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Forscher der Uni Basel zeigen, dass belastende Erinnerungen dank Medikamenten verblasst werden können. Dies könnte für die Behandlung von posttraumatischen Störungen nützlich sein.

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Basler Forscher
Den Professoren Dominique De Quervain und Andreas Papassotiropoulos gelangen neue Erkenntnisse in der Gedächntnisforschung.
Bild: zvg


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  • Forschung am Menschen 

  • Universität Basel 

  • Therapie 

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«Man muss vergessen können», erklärt Professor Andreas Papassotiropoulos von der psychologischen Fakultät und meint damit nicht nur, dass man sich und seinem sozialen Umfeld gut tut, wenn man nicht nachtragend ist. Eine andere Bedeutung erlangt «Vergessen» nämlich in der Neuroforschung, wenn es etwa darum geht, dass das menschliche Gehirn sich des unnützen Wissens darum entledigt, wieviele Treppenstufen man schon gestiegen ist. In der Psychiatrie aber beschäftigt man sich mit dem Vergessen schwer traumatischer Erinnerungen, die so tief sitzen, dass sie das Leben von Menschen nachhaltig im Griff haben. Wenn die Betroffenen die Kontrolle über solche belastenden Erinnerungen verlieren, können Störungen auftreten.

Die beiden Basler Forscher Andreas Papassotiropoulos und Dominique de Quervain befassen sich seit einiger Zeit mit solchen so genannten «posttraumatischen Störungen» und suchen nach neuen Wegen, dem Vergessen auf die Sprünge zu helfen. Dazu wurden auch Überlebende der Massaker in Ruanda untersucht.

Neue Rolle für alten Bekannten 

So wurden zwanzig Gene identifiziert, die mit dem Phänomen der posttraumatischen Störung zu tun haben könnten. Mit Hilfe von Expertensystemen wurden schliesslich Ziele eruiert, an denen man mit Wirkstoffen angreifen könnte. Die Suche brachte ein überraschendes Ergebnis: Ein Histaminrezeptor, so die Voraussage, müsste ein geeigneter Angriffspunkt, ein «Target» sein, über das man negative Erinnerungen zurückdrängen können müsste.

Da die Studie belegen sollte, dass es im Erinnerungsprozess Angriffspunkte für Wirkstoffe gibt, wurde ein bestehendes Medikament gesucht, welches auf den Histaminrezeptor wirkt. Als solches «Antihistaminikum» wurde schliesslich Diphenhydramin gewählt: dieser Wirkstoff ist bereits seit 1940 bekannt, als eines der ersten Antiallergika.

An menschlichen Probanden wurde getestet, wie sich das Erinnerungsvermögen an neutrale, positive und negative Bilder, nach Einnahme von Diphenhydramin verändert. Die beteiligten Forscher konnten tatsächlich zeigen, dass sich die Versuchspersonen an belastende Bilder schlechter erinnern. Dies legte das um europäische Partner erweiterte Team kürzlich in der US-Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences» dar. Unverändert blieb aber die Erinnerung an neutrale und positive Bilder. Ein wichtiger Punkt, «denn sonst müssten wir ja davon ausgehen, dass Diphenhydramin einfach das gesamte Erinnerungsvermögen verschlechtert», erklärt De Quervain. 

Erst am Anfang

Andreas Papassotiropoulos meint, man habe wohl eine Türe zu neuen Behandlungsformen geöffnet, stehe aber dennoch erst am Anfang. Man sei noch weit davon entfernt, eine medikamentöse Behandlung zielbringend an Patienten einzusetzen. «Wir haben an gesunden Menschen getestet und damit gezeigt, dass die grundlegende Methode funktioniert.» Das heisse aber noch lange nicht, dass diese Methode auch rückwirkend auf traumatische Erinnerungen Einfluss nimmt. «Man kann schliesslich nicht prophylaktisch ein Medikament geben um allenfalls eintretende traumatische Erlebnisse im Vornherein zu dämpfen».

Nach Meinung der Beteiligten hat die neue Methode Potenzial in bestimmten Phasen der Therapie. Denn einmal im Hirn abgespeichert, wird eine schlechte Erinnerung immer wieder reaktiviert, wenn sie wieder aufgerufen wird. «Diese Reaktivierungsphasen können nicht unbedingt gesteuert werden und speziell bei traumatischen Erinnerungen kommen sie unverhofft und unkontrollierbar», erklärt De Quervain. Bereits heute fordere man in der nicht-medikamentösen Behandlung einen Patienten auf, aktiv das traumatische Erlebnis abzurufen. «Damit tritt die Reaktivierungsphase ein und das Erlebte ist in diesem Moment modifizierbar. Man kann dann beispielsweise audiovisuell positive Assoziationen beim Patienten wecken, die das negative Erlebnis verdrängen.» Das führe längst nicht zum Löschen einer schlechten Erinnerung, wohl aber zu «abgedämpfter Abspeicherung». Die Basler Forscher erhoffen sich nun, während dieser Reaktivierungsphase in Zukunft auch medikamentös Einfluss nehmen zu können.

Keine Lifestyle-Pillen

Doch wie viel Vergessen ist wünschenswert? Nicht umsonst heisst es ja, dass man aus Fehlern lernt. «Man muss natürlich bedenken, dass negative Erinnerungen die Evolution des Menschen massgeblich gesteuert haben», stimmt Papassotiropoulos zu. Es gehe letztlich nicht darum, eine praktische Pille zu entwickeln, mit der man etwa peinliche Erinnerungen an vorabendliche Trunkenheit beseitigen kann. Papassotiropoulos steht dem Gebrauch von psychoaktiven Medikamenten allein zu Lifestyle-Zwecken kritisch gegenüber und warnt, dass heute zum Beispiel Antidepressiva unverhältnismässig auch dann genutzt würden, wenn keine wirkliche Depression diagnostiziert wurde. Diese Entwicklung sei schlecht und mit unberechenbaren Nebenrisiken verbunden. Auf keinen Fall wolle man die neuen Erkenntnisse in diese Richtung vorantreiben.

Papassotiropoulos und De Quervain gründeten 2013 die Firma GeneGuide AG, die sich mit dem genombasierten Forschungsansatz auf die Entdeckung neuer Medikamente für neuropsychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Damit widmen sich die beiden der Weiterentwicklung ihrer Entdeckung, bis hin zur konkreten klinischen Anwendung. (baz.ch/Newsnet)

Erstellt: 29.10.2013, 12:57 Uhr


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