"Fehler zu vermeiden ist effizienter, als das Glück zu optimieren."

Herr Dobelli, mit Ihrem Buch "Die Kunst des klaren Denkens" führten Sie einige Wochen die Spiegel-Bestsellerliste an. Ganz banal gefragt: Wie ist Ihre Befindlichkeit?
- Gut, vor allem, weil dieser Erfolg doch sehr überraschend kam. Es handelt sich bei meinem
Buch um eine Zusammenstellung von 52 Kolumnen, die ich während eines Jahres für die "Sonntagszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geschrieben habe. Ursprünglich
wollte ich gar kein Buch daraus machen. Dies änderte sich aber, als ich sehr viele begeisterte Leserzuschriften erhalten hatte. Und doch war ich am Anfang skeptisch: Wie viele Menschen gibt es wohl, die sich für Denkfehler interessieren? Der Erfolg des Buches hat mich positiv überrascht:
Wir haben in der deutschsprachigen Welt ein erstaunlich grosses Publikum für wissenschaftliche
Themen.

Wie viele Bücher haben Sie mittlerweile verkauft?
- Wir haben bis Anfang Februar rund 150'000 Bücher verkauft. Jetzt konnten wir auch noch die Übersetzungsrechte für über ein Dutzend Sprachen, darunter Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Spanisch, Russisch, Finnisch und Englisch, vergeben. Gerade für den amerikanischen Markt erwartet man einiges, da das Thema der kognitiven Psychologie en vogue ist.

Können Sie sich diesen Erfolg erklären?
- Nein, einen Bucherfolg kann man nicht erklären. Das ist wie in Hollywood, entweder toppt ein Film, oder er floppt. Man hat erfolglos Millionen von Dollars in Studien investiert, um das Erfolgsgeheimnis von Blockbustern zu ergründen. Es gibt nur ein winzig kleines Erfolgsindiz: das Wetter. Regnet
es bei der Lancierung eines neuen Films in den Hauptstädten, ist die Chance, dass er zu einem Erfolg wird, etwas höher als bei schönem Wetter. Bei den Büchern ist dies ähnlich. Sobald eine kritische Masse erreicht ist, funktioniert die Mundpropaganda. Man nennt dies Kaskadeneffekte.

Also gibt es ein Rezept …
- (Lacht.) Nein, überhaupt nicht. Wenn es wirklich das Erfolgsrezept gäbe, würden es
alle anwenden, und es gäbe überhaupt keine Bestseller mehr, weil alle Bücher vorne lägen.

In der Schweiz hat man über Ihren Erfolg nichts gelesen …
- Ja, das stimmt. Sie scheinen der Einzige zu sein, der es gemerkt hat. Vielleicht liegt es
wirklich daran, dass ich eher der Belletristik zugerechnet werde. Mein Freund Nassim Nicholas
Taleb, Autor des Weltbestsellers "Der schwarze Schwan", hat mir von einer Veröffentlichung
abgeraten. Seine Begründung: Belletristik hätte einen weitaus höheren Sexappeal als Fachbücher (lacht). In diesem Punkt hat er nicht unrecht: Ein Sachbuch liest man und legt es wieder zur Seite, bei Literatur besteht die Möglichkeit, dass sie einen überlebt.

Ihr Erstling "Fünfunddreissig. Eine Midlife-Story" wurde vor neun Jahren zu einem
beachtlichen Erfolg.

- Ich war begeisterter Leser von Max Frisch. Noch immer. Und so habe ich meine, sagen wir, Quarter-Life-Krise im Stil von Frisch von der Leber geschrieben. Dann schickte ich das Manuskript "Fünfunddreissig" ungefragt an den Diogenes-Verlag. Kurz danach bekam ich einen Anruf von einem Herrn Keel, der unbedingt mein Buch verlegen wollte. Ich fragte: "Was machen Sie dort?"
Worauf er antwortete "Ich bin der Verleger." Mittlerweile sind fünf weitere Bücher bei Diogenes gefolgt.

Diogenes-Verleger Daniel Keel ist vor einigen Monaten gestorben. Was bedeutet dies für
den Verlag?

- Das ist für den Verlag eine schwierige Situation. Diogenes ist ein hochprofessionelles Haus voller Verlagsprofis, darum werden sie diese Phase problemlos bewältigen. Ich freue mich jedenfalls, wenn bald jemand sichtbar das Zepter übernimmt. Vielleicht steigt ja einer der beiden Söhne in die Fussstapfen ihres Vaters.

Zurück zu Ihrem aktuellen Erfolg: Der Untertitel Ihres Buches lautet "52 Denkfehler,
die Sie besser andern überlassen". Was muss man unter einem Denkfehler verstehen?

- Denkfehler sind systematische Abweichungen von der Rationalität. Systematisch, weil wir uns oftmals in der gleichen Richtung irren. Es kommt zum Beispiel viel häufiger vor, dass wir unser Wissen überschätzen, als dass wir es unterschätzen.

Haben Sie diese Denkfehler entdeckt?
- Nein, überhaupt nicht. Ich bin kein Psychologie- oder Wirtschaftsprofessor, der selbst aufwendige Experimente durchführen kann. Es gibt auf der ganzen Welt Forscher in den Gebieten der Sozialpsychologie und der kognitiven Psychologie - wie zum Beispiel den Nobelpreisträger Dany Kahneman -, die ihr halbes Leben der Erforschung von Denkfehlern geopfert haben. Nach Angabe
meines amerikanischen Agenten bin ich der Erste, der alle Denkfehler auflistet und zusammenfasst. Eigentlich erstaunlich, dass das niemand zuvor gemacht hat.

Wieso kamen Sie auf die Idee, solche Denkfehler aufzulisten?
- Ursprünglich habe ich diese Auflistung für mich selbst gemacht. Damit wollte ich Fehlentscheidungen im beruflichen, finanziellen und privaten Bereich vermeiden. Ich bin fest
davon überzeugt: Fehler zu vermeiden ist effizienter, als das Glück zu optimieren. Ich handle also nach dem Muster: das Down side ausschliessen, statt das Upside zu managen. Wenn man grobe Fehler ausschliesst, stellt sich die Glückseligkeit von selbst ein. Da ich nun viele der systematischen Denkfehler kenne, ist es mir sogar in einigen Fällen gelungen, unangenehme Situationen zu vermeiden.

Was ist der grösste Denkfehler, den Sie kennen?
- Der Vater aller Denkfehler ist der sogenannte "Confirmation Bias", der Bestätigungs-Irrtum. Konkret haben wir alle die Tendenz, sämtliche neuen Informationen so zu interpretieren, dass sie mit unseren Weltanschauungen und Überzeugungen kompatibel sind. Ich persönlich versuche dem zu entweichen, indem ich bewusst nach Informationen suche, die im Widerspruch zu meinen Ansichten und zu meiner Weltanschauung stehen. Man nennt dies "Disconfirming Evidence". Ein entsprechender deutschsprachiger Ausdruck fehlt.

Können Sie dies an einem konkreten Beispiel erklären?
- Die ganze Welt ist der Ansicht, dass der Börsengang von Facebook ein Riesenerfolg wird. Folglich wird derjenige, der in Facebook investieren will, alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen dazu nutzen, seinen Entscheid zu untermauern. Ohne aber die Hintergründe zu kennen, würde ich
dies niemals tun. Ich glaube eher, der ganze Facebook-Börsengang könnte zu einem Riesenbubble
werden.

Welches sind Ihre nächsten Projekte?
- Das nächste Buch, das im Herbst erscheinen wird: "Die Kunst des klugen Handelns". Es sind dies die nächsten 52 Denk- und Handlungsfehler, die ich jeweils in der "Sonntagszeitung" und neuerdings im Feuilleton der "Zeit" abhandle. Dann sind wir durch mit den Denkfehlern.

Das ganze Interview von Matthias Ackeret lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von "persoenlich"-Heft.

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