Digitale Demenz


Philosophische Kolumne: Von Computernutzern und Hatern

In diesen Tagen hört und liest man in vielen Medien davon, dass Medien krank machen. Genauer gesagt, sind es die digitalen Medien, die unserem Hirn laut dem Hirnforscher Manfred Spitzer den Garaus machen. Spitzer ist Chef der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm, und er hat dafür nicht nur Psychologie, sondern auch Philosophie studiert. Welches Medium wäre also besser dazu geeignet, um seine Kernthese zu thematisieren, als eine digitale Online-Kolumne, und noch dazu eine philosophische?

Was würde also einem geschulten Philosophen zum Thema digitale Demenz einfallen, obwohl oder weil er zu lange oder auch nie vor dem Bildschirm saß? Natürlich die Schrift "Idiota de mente", schon alleine des Titels wegen. Nikolaus Cusanus schrieb darin aber nicht über demente Idioten, sondern über nichtstudierte Laien, die sich über das Mentale auslassen. Kues kommt dabei zu dem Schluss, dass Laien manchmal gar nicht so dummes Zeug reden, dass in manchen Fällen vielmehr die sogenannten Experten die Dummen sind. Die konnten zur Zeit des Cusanus im 15. Jahrhundert zwar am besten mit den damaligen Neuen Medien umgehen und erfreuten sich an der Erfindung des Buchdrucks – doch zeigte sich schon damals, dass man solchen Medienspezialisten überlegen sein konnte, wenn man auf gesunden Menschenverstandes setzte.

Kues argumentiert damit, dass zum Beispiel ein Kaufmann viel alltagstauglicher sei und ihm viel mehr vom Mentalen (lateinisch: mens) eigne als einem handelsüblichem Philosophen. Denn der zugehörige Wortstamm käme von "Messen" (mensurare), also auch ganz wortwörtlich vom Messen und dem kunstgerechten Umgang mit einer Balkenwaage. Scheinbar wurde so viel manuelles Geschick schon damals den Philosophen abgesprochen (wohlgemerkt von einem der ihrigen). Kein Wunder, dass in der frühen Neuzeit der Spruch "Die Gelehrten – die Verkehrten" zum geflügelten (und von Gelehrten viel zitierten) Wort wurde. Ein Glück, dass bei Online-Medien sowohl Experten etwas schreiben, als auch Laien das kommentieren können. Oder andersherum.




Der Experte Spitzer meint nun also, dass die Benutzung von digitalen Medien das Gehirn und auch den Körper schädigt. Das Gedächtnis würde outgesourct und der Körper verweichlicht, der mit Tippen weniger Kalorien verbraucht, als mit einem gepflegten Gang in eine Bibliothek. Von Sport und dem realem Leben ganz zu schweigen. Spitzer selbst ist, was das reale Leben angeht, trotz aller Gelehrtheit ein beeindruckender Mann der Tat, der seine Fernseh- und Internetfreien Tagesphasen unter anderem in Herstellung und Erhalt ein halbes Dutzends Kinder investiert hat – die wie ihr Vater die digitalen Medien ablehnen. Aber wissen die, was sie tun? Und wenn ja, woher? Und ist das gut? Denn heutzutage geht unter, wer sich auf Medien nicht versteht. Da hilft dann auch alle Intelligenz nichts. Und fast sollte man meinen, dass sich, wer wirklich intelligent ist, der Medien gewinnbringend und auch einigermaßen gesundheitskompatibel bedienen können müsste. Sonst wäre er ja nicht intelligent.

Natürlich ist es nachvollziehbar, wenn Spitzer beim Thema Medienpädagogik meint, das sei ähnlich sinnvoll wie Alkoholpädagogik. Jeder Alkoholiker würde so etwas begrüßen, ähnlich wie jeder Jugendliche die Frage "Willst Du den Tag sinnvoll nutzen?" verneinen und den Vorschlag "Willst Du lieber digital verblöden?" euphorisch gutheißen würde – was aber vorführt, dass nicht jede Meinung in einem demokratischen System eine gute ist.

Das führen auch die Kommentare mancher Kolumnen vor: Es gilt als Segen der Neuen Medien, dass hier gut demokratisch Kommentare von allen Nutzern abgegeben werden können. Aber alle Segnungen bringen im Übermaß konsumiert auch Schäden wie Leberzirrhosen, Schlafstörungen und Hater hervor. Hater ist ein Begriff aus der Rap- und Hip-Hop-Szene und umschreibt Leute, die ihre Meinungen (vor allem digital) mit überzogenem Hass kundtun. Viele Zeitungen haben zur Reglementierung so gearteter Botschaften schon hauseigene Zensur-Redakteure oder nehmen nur Mails innerhalb eines bestimmten Zeitfensters an, weil aus psychologisch noch nicht erfassten Gründen die Mails der Nacht besonders hasserfüllt sind.

Eine andere Sache, die Psychologen aber herausgefunden haben, ist, dass Freundlichkeit ein Indiz für Intelligenz ist. Aber dann haben wiederum andere Psychologen jetzt herausgefunden, dass das nur für jüngere Menschen gilt. Im Alter gilt schier das Gegenteil. Da aber selten Altersangaben die Kommentare schmücken, ist also weder philosophisch noch psychologisch zu klären, ob Online-Unfreundlichkeit dann ein Indiz für das Gegenteil von Intelligenz ist, oder wie zum Beispiel die Kommentare zu diesem Text hier zu bewerten sein werden: Sind sie Zeichen der Hoffnung für die Menschheit, für deren digitale Demenz oder für die Devise Ellen Degeneres (einer amerikanische Fernseh-Lesbe): "Haters are my motivators"?

Cusanus würde sagen: Selig die, die es in einer Welt des Messens und der Alltagsanforderungen, der Kaufleute und Computerfreaks, der Informatiker und Philosophen, der Netten und aller anderen, ob Experten und Laien, denen in ihrem erfüllten Alltag nicht nur die Zeit, sondern auch die Lust auf zu viel Digitales und auf Hater-Aktivitäten fehlt. Damit ist zwar nicht geklärt, ob absolute Seligkeit, relative Computerbeschränkung und ein Quentchen Contenance viel mit Intelligenz zu tun haben, aber der gesunde Menschenverstand eines cusanischen Laien würde das wohl meinen.











http://www.heise.de/tp/artikel/37/37464/1.html

Open bundled references in tabs:

Leave a Reply