Die menschliche Logik versagt bei den Tieren

Wen wir mögen, hassen oder verspeisen: Hal Herzogs Klassiker zur Mensch-Tierbeziehung liegt nun in der deutschen Übersetzung auf

Welche Rolle spielte der Fleischverzehr für die menschliche Entwicklung? Dürfen jährlich Millionen von Mäusen bei Tierversuchen geopfert werden? Gehört das Halten von Pit Bulls verboten? Einige Debatten werden mit nahezu religiöser Inbrunst geführt, meint der US-amerikanische Psychologe und Veterinärmediziner Hal Herzog. Der Mitbegründer der Antrozoologie verortet sich selbst in der "moralischen Mitte", in der sich wohl viele Menschen befinden: Er isst Fleisch, aber weniger als früher und kein Kalbfleisch. Er ist dagegen, dass man Backofensprays und Lidschatten an Tieren testet, aber er würde sie für ein Heilmittel gegen Krebs opfern. So will er auch in seinem Buch "Wir streicheln und wir essen sie", das nun in der deutschen Übersetzung aufliegt, unseren paradoxen Umgang mit Tieren nicht auflösen, sondern nur erklären.

Herzog sehe die Welt "eher in Grautönen als in dem scharfen Schwarzweiß überzeugter Tierschützer und ihrer fanatischen Gegner". Daher maßt er sich trotz seiner mehr als 20-jährigen Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Mensch-Tier-Beziehung keineswegs
an moralisch zu belehren: "Wie die meisten Leute bin ich mir nicht sicher, was
unsere ethischen Verpflichtungen gegenüber Tiere betrifft." Die Debatte über den moralischen Status von Tieren wird so erbittert geführt, dass FBI-Beamte vor einige Jahren den radikalen Tierrechtsaktivismus sogar als die größte terroristische Bedrohung in der amerikanischen Innenpolitik bezeichnet haben.

Tiere, die wir hassen

Von den 65.000 Gattungen an Säugetieren, Vögeln, Fischen, Reptilien und Amphibien weckt nur eine Handvoll größeres Interesse beim Menschen. Ihr "Wert" hängt oftmals von den Merkmalen jener Art ab: Wie attraktiv, wie groß sind sie? Welche Kopfform haben sie? Haben sie ein Fell? Oder sind sie gar schleimig? Zu viele Beine oder gar keine Beine werden meist negativ aufgefasst. Tiere werden von Menschen auch eher nach soziologischen Kriterien als nach ihrem genetischen Stammbaum eingeteilt: So sitzen Hyänen und Hunde zwar auf dem selbst Stammbaum der Ordnung carnivora, sind aber auf der Skala der Beliebtheit sehr weit voneinander entfernt.

Die Schönheit spielt eine große Rolle wenn der Mensch entscheidet, wie
andere Gattungen zu behandeln sind. Es ist auch ein wichtiger
Faktor dabei, wenn die Menschen entscheiden, wie viel Geld sie für den
Erhalt einer bedrohten Tierart ausgeben. Der zwei Meter lange, braune
chinesische Riesensalamander mit seinen winzigen Knopfaugen ist zwar
auch vom Aussterben bedroht, aber weniger beliebt als der weiche Panda,
dessen Augen durch schwarze Kreise überbetont werden. Damit hat der Bär
es sogar zum Logo einer großen Tierschutzorganisation geschafft.

Der kulturelle Hintergrund spielt ebenfalls mit. Wirbellose Tiere werden in den USA und Europa mit einer Mischung aus Antipathie, Abneigung oder gar Ekel betrachtet. In Japan ist das Verhältnis komplexer. Unter den Kindern sind Hirschkäfer der letzte Schrei. Und unter dem Begriff "mushi" fassen Japaner Insekten, Spinnen, Salamander und Schlangen zusammen, die sie als Haustiere halten.

Tiere, die wir essen

Die subjektive Wahrnehmung und Unterteilung gilt auch für den Tierfleischkonsum: Hunde sind im Westen niedliche Haustiere und kein Mittagsmenü. Viele Chinesen sind da anderer Meinung. Es gibt noch feinere Nuancen: "Pesco-Vegetarier" essen keine Kühe, Schweine oder Geflügel, aber
sehr wohl Fische oder Meeresfrüchte. Eine rein gefühlsmäßige Einordnung,
denn sowohl Vögel als auch Fische sind Wirbeltiere, haben Gehirne und
leben gesellig, meint der Autor. Das Ungleichgewicht wird deutlich, wenn Herzog Zahlen aus den USA präsentiert: Auf jedes getötete Versuchstier kommen 200 geschlachtete Tiere für den Fleischverzehr. Auf jeden herrenlosen Hund, der eingeschläfert wird, kommen 2.000 Schlachttiere. Und auf jede junge Sattelrobbe, die für ihr Fell erschlagen wird, kommen 40.000 Schlachttiere.

Der Autor stellt sich auch die Frage, warum so wenige Tiere tatsächlich gegessen werden, obwohl die Liste der essbaren viel länger wäre. Selbst ist er ein abenteuerlustiger Esser: So habe er regelmäßig Schafshirn während seiner Studienzeit in Beirut gegessen, schon Schweinedarm, Qualle, Grashüpfer, Schwarzbärenbraten und Alligator probiert. Persönliche Grenzen stellen für ihn Katze, Fledermaus, Schimpanse aber auch balut, das halbausgebrütete Entenei, dar. Einen wichtigen Einfluss stellt hier die kulturelle Prägung dar.

Tiere, die wir mögen

Der Autor erörtert zudem umfassend die moralischen Probleme, die entstehen, wenn wir Tiere zu einem Teil unseres Lebens machen: Ist es richtig ein Tier zu töten, um ein anderes zu ernähren? Allein die rund 94 Millionen Katzen, die in den USA leben, verschlingen Unmengen an Fleisch. Wenn jede nur 55 Gramm Fleisch pro Tag frisst sind es immerhin mehr als fünf Millionen Kilogramm. Und sie töten auch, wenn sie keinen Hunger haben. Schätzungen zu Folge fallen pro Jahr eine Million Kleintiere den domestizierten Mitgliedern der Familie Felidae zum Opfer. Hal Herzog formuliert es provokativ: "Vermutlich fallen jedes Jahr mindestens zehnmal mehr Felltiere und Vögel unserer Katzenliebe zum Opfer, als bei biomedizinischen Experimenten verwendet werden."

Und er stellt eine weitere Frage in den Raum: "In den Vereinigten Staaten werden jedes Jahr etwa zwei Millionen ungewollter Katzen in 'Tierheimen' eingeschläfert. Die Kadaver werden sofort verbrannt. Wäre es nicht vernünftiger, die sterblichen Überreste Schlangenliebhabern zur Verfügung zu stellen?" Der Autor resümiert am Schluss seiner Gedankenkette, dass es nun nicht nur logisch, sondern sogar moralisch richtig wäre, für ihn als Schlangenbesitzer im Tierheim nach toten Katzen zu fragen. Trotzdem findet er den Gedanken abstoßend, seine Schlange mit toten Katzen zu füttern.

Zwischen Verstand und Gefühl

Wie wir über Tiere denken, wirft ein Licht auf einen immerwährendes
Thema in der Psychologie: den Konflikt zwischen Gefühl und
Verstand. Philosoph David Hume vertrat im 18. Jahrhundert die Ansicht, dass Emotionen die Basis der Moral sind. Immanuel Kant war hingegen der Meinung, dass Ethik auf der Vernunft basiere. "Wir halten uns gern für die vernunftbegabte Gattung. Aber
Untersuchungen zeigen, dass unser Verhalten und Denken oft völlig
unvernünftig sind", schreibt Herzog. Er unternimmt einen
Erklärungsversuch: "Wir sind eine wilde Mischung aus Instinkt,
Gelerntem, Sprache, Kultur und Intuition." (Julia Schilly, derStandard.at, 26.2.2012)

Zur Person

Hal Herzog ist Mitbegründer der Anthrozoologie und führender Experte für Mensch-Tier-Beziehungen. Er ist Professor für Psychologie an der Western Carolina University und lebt zusammen mit seiner Frau Mary Jean und ihrer Katze Tilly in den Great Smoky Mountains.

Anthrozoologie

Die Anthrozoologie überschreitet die herkömmlichen akademischen Grenzen.
In dem Bereich arbeiten Psychologen, Veterinäre, Verhaltensforscher,
Historiker, Soziologen und Anthropologen.

Wir streicheln und wir essen sie
Originaltitel: Some we love, some we hate, some we eat

320 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH CO. KG
ISBN: 3446429220
19,90 Euro

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