Die Magie des Psychologen

Am Dienstagmittag war Joachim Löw wieder blendend gelaunt. Es stand eine Wasserflasche vor ihm, als er sich im Medienzelt zu Danzig präsentierte. Weil Nationalmannschafts-Sprecher Harald Stenger dem Bundestrainer aber auch noch einen kleinen Espresso bestellte, verwandelte sich der Auftritt für Löw in eine Genussreise. Wie ein Schauspieler, der auf Tournee zum 100. Mal in seine Erfolgsrolle schlüpft und sich des Applauses sicher sein kann, traute er sich etwas, manipulierte er kunstvoll das Publikum.

Misstrauische Gemüter bezweifeln sogar, dass es sich beim Ordern des Käffchens um eine spontane Aktion handelte. Das Markenemblem auf dem Pappbecher war sichtbar. Und wurde nicht auch diese Pressekonferenz ungefähr überall hin übertragen? Und ist nicht eine solche Präsenz ideal geeignet für die Übermittlung von Botschaften? Sicher ist: Der Bundestrainer weiß, dass allem, was er tut, dass allem, was er äußert, höchste Bedeutung beigemessen wird. Und das nicht allein von Marketingstrategen und Journalisten. Auch von denen, die er immer wieder einzubinden und zu motivieren hat. Auch von: der Mannschaft.

Einst war er getrieben von missionarischem Eifer

Es gab Zeiten, in denen für Löw nicht die ganze Welt Spiel war, Bühne war. Als Assistent von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann begab er sich vor der WM 2006 mit missionarischem Eifer daran, seinen Fußball als den allein seligmachenden zu predigen. Bei der EM und nach der EM 2008 sorgte er für Irritationen durch die unsanfte Verabschiedung des verdienten Kämpfers Torsten Frings. Bei der WM und nach der WM 2010 fiel es ihm schwer, das Aus für Capitano Michael Ballack sauber zu kommunizieren. Diese Zeiten aber sind vorbei.

Vorhang auf. Dienstagfrüh haben vor allem die Spieler trainiert, die beim 2:1 in der letzten Vorrundenpartie gegen Dänemark nicht auf den Rasen durften. Wie ist ihre psychische Befindlichkeit einzuschätzen? Fühlen sie sich vor der EM-Viertelfinalbegegnung mit den Griechen abgeschoben? Löw sagt, dass die Spieler trainiert hätten, „von denen der eine oder andere möglicherweise Freitag gebraucht wird“. Und später, als der Bundestrainer doch nur die Frage beantworten soll, ob veröffentlichte Lippenleserei sein Verhalten beeinflusse, nimmt er das gekonnt zum Anlass, weiter über Personal zu reden. Er erwähnt Andre Schürrle, Marco Reus, Mario Götze, Akteure aus der zweiten, der dritten Reihe. Und irgendwo im nicht weit vom Medienzelt entfernt liegenden Hotel Dwor Oliwski wird schon ein TV-Bildschirm flimmern, wird der Live-Stream im Internet schon verfolgt werden. Und vielleicht sind gerade drei intensive Einzelgespräche überflüssig geworden.

Lange Strecke auf dem Zeitstrahl

Ab dem 11. Mai Regenerations-Trainingslager auf Sardinien, dann Trainingslager in Südfrankreich, dann die EM in Polen und der Ukraine. Der Ernstfall. Eine lange, lange Strecke auf dem Zeitstrahl. Und wer gespielt hat, der muss sich sicher, darf sich aber nicht zu sicher sein. Und wer nicht gespielt hat, der muss fest daran glauben, dass seine Stunde in der nächsten Sekunde schlagen kann. Darum geht es. Mario Gomez hat drei Treffer erzielt in drei Spielen? Aber hinter ihm lauert doch der Miroslav Klose, der im 34. Lebensjahr mit einem Bankplatz nicht wirklich zufrieden sein kann, oder?


Deutschlands Zittersieg


Deutschlands Zittersieg


Deutschlands Zittersieg


Deutschlands Zittersieg

„Bei Mertesacker oder Miro habe ich mich für Spielpraxis entschieden“, erklärt Löw. Auf Mertesacker, der über die Lizenz zur Innenverteidigung auf Lebenszeit zu verfügen schien, war der Bundestrainer aber gar nicht angesprochen worden. Doch wird der verständige Per nicht seine Schlüsse aus dem ziehen können, was der Chef im Weiteren ausführte? „Wir haben den Miro ja schon während der Spiele gebraucht.“ In Kurzeinsätzen. Wie wahrscheinlich schon demnächst den Arsenal-Mann.

Psychologie? Magie?

Ist das noch Psychologie? Oder ist es schon: Magie? Sollte Mesut Özil irgendwann einmal genau ermitteln wollen, warum es nach pomadigem Traben durch drei Spiele beim Triumph über Griechenland bei ihm endlich Bumm gemacht hat, sollte er sich ein Video besorgen. „Die große Explosion von Özil kommt noch. Ich spüre das.“, verkündet der Bundestrainer: „Ich spüre das.“

Oliver Trust

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