Die hohe Kunst des Pokerns

Düsseldorf (RP). Dass Pokern ein Glücksspiel ist, gehört in die Kategorie der populärsten Irrtümer. Das Spiel verlangt eine Mischung aus Geduld und Geschicklichkeit, Mathematik und Psychologie. Mit dem WM-Sieg des Deutschen Pius Heinz (22) könnte das Kartenspiel hierzulande noch beliebter werden.

Das hollywood-taugliche Märchen des 22-jährigen Deutschen Pius Heinz, der auszog, um in Las Vegas Poker-Weltmeister zu werden, fasziniert nicht nur die Poker-Nation USA. Denn den typisch amerikanischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, hat der Junge mit dem biblischen Namen (der zu Wortspielen wie Poker-Papst Pius reizt) weltweit wahr werden lassen. Mit 10 000 Dollar Startgeld wird der Student der Wirtschaftspsychologie mit Wohnsitz in Wien zum Multimillionär, holt sich im Feld von 6865 Mitspielern die Siegprämie von 8,7 Millionen Dollar (6,3 Millionen Euro). Und sorgt, wie Experten prophezeien und die Spielbank Wiesbaden gestern im Internet meldete, für einen Ansturm auf die Pokertische.

Wer die weltweit grassierende Pokermania verstehen will, muss einen Blick in die Geschichte werfen. Der Ursprung des neben Schach brutalsten Spiels der Welt, bei dem jeder Fehler final bestraft wird, ist ungewiss. Historiker sehen die Geburtsstunde in China, in Persien oder in Ägypten. Die Neuzeit lehrt, dass das Spiel mit den 52 Karten in Amerika den Wilden Westen von New Orleans aus eroberte, also eher französische Wurzeln haben muss. Die Westernfilme aus der Traumfabrik Hollywood bildeten später das Image des Spiels: Cowboys sitzen mit Karten in den Händen im verqualmten Saloon bei Dämmerlicht an runden Tischen und beenden schon mal Spiele mit dem Tod durch eine Revolverkugel.

Dieses Ur-Pokern ist längst weltweit verboten. Denn, wie im Filmklassiker "Cincinnati Kid und der Pokerkönig" mit Steve McQueen zu bewundern, verführt die Variante mit fünf Karten auf der Hand und einmaligem Kauf neuer Karten dazu, Haus und Hof innerhalb von Sekunden zu verspielen.

Das brachte Berufszocker auf die Idee, Varianten zu etablieren, bei denen mit festen Einsätzen gespielt wird – so musste als Beispiel Pius Heinz bei dem Weltturnier "nur" die 10 000 Dollar Einsatz riskieren, aber nicht mehr. Die berühmteste Spielart ist längst Texas Hold'em mit zwei Karten verdeckt in der Hand als Grundstock und fünf auf dem Tisch, die gemeinsam zu einem Blatt kombiniert werden, wobei sich an der Rangfolge der Hände vom Straight Flush an abwärts in keiner Spielart etwas geändert hat. Als Ende der 90er Jahre der erste Tisch ins Internet gestellt wurde, schlug die Geburtsstunde eines heute milliardenschweren Wirtschaftszweigs.

2001 wurde die weltweit größte Plattform "Pokerstars" gegründet, für die Deutschlands Tennis-Legende Boris Becker in Europa als Werbelokomotive arbeitet. Die Zeitenwende in der Pokerwelt markiert ein Tag im Mai 2003: Ein dicklicher Buchhalter mit Kinnbart aus Tennessee qualifizierte sich bei Pokerstars mit 39 Dollar Einsatz für die Weltmeisterschaft und gewann 2,5 Millionen Dollar. Sein Name wurde zum Programm: Chris Moneymaker. Kein Künstlername, der "Geldmacher" stammt von deutschen Goldschmieden ab. Damit waren alle Dämme gebrochen: Hunderttausende versuchten, seinem Vorbild nachzueifern, der Markt im Internet explodierte. Fernsehanstalten in den USA übertragen Turniere live, bieten Pokershows wie hierzulande nur Trendsetter Stefan Raab mit seiner TV-Total-Pokernacht. Und es ist zu erwarten, dass Pius Heinz einen neuen "Boom" in Deutschland auslöst.

Dabei gilt es zu bedenken, dass die Pokerwelt aus zwei Teilen besteht, der großen Gruppe der verlierenden "Fische" und der viel kleineren der gewinnenden "Haie". Denn der Glaube, dass Pokern ein reines Glücksspiel sei, gehört in die Kategorie der populärsten Irrtümer aller Zeiten. Das bei Turnieren manchmal über Tage laufende Spiel mit den 2 598 960 möglichen Blatt-Kombinationen ist in Wahrheit eine Mischung aus Geduld und Geschicklichkeit, Menschenkenntnis und Mathematik, Psychologie und Physis, Nervenstärke und Nonchalance. Und nach Expertenrechnung bestenfalls 30 Prozent Glück.

Der Beweis heißt Phil Ivey, ist farbig und 45 Jahre alt: Der wohl weltbeste Spieler hat schon acht "Bracelets" (mit Diamanten besetzte Goldarmbänder als Symbol des Sieges) geholt. Mehr noch: Er saß zig Mal bei großen Turnieren am "Final table", war noch viel öfter im Geld, was in der Regel an zehn Prozent der Turnierteilnehmer ausgeschüttet wird, und soll ein Vermögen von 300 Millionen Dollar haben. Das funktioniert nicht nur mit Glück .

Aber selbst auf ihn trifft das berühmteste Zitat der Poker-Geschichte zu. Es stammt vom stets mit Stetson auf dem Kopf zockenden, beinahe 80 Jahre alten Urgestein Doyle Brunson: "Du brauchst fünf Minuten, um Poker zu lernen, aber ein ganzes Leben, um es zu beherrschen!"

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