DFB-Blamage in der WM-Qualifikation Deutschland – Schweden: „Für die …

Natürlich musste die deutsche Mannschaft am Tag danach mit einigem Spott leben. Das war auch nicht anders zu erwarten gewesen nach diesem sonderbaren Spiel vom Dienstagabend. Ein Vorsprung in Höhe von vier Toren hatte der Nationalelf in der WM-Qualifikation gegen Schweden nicht gereicht, als das Spiel in Berlin zu Ende war, stand es 4:4. Dann folgten die erwarteten Kommentare. „Das war ein Lehrbeispiel für deutsche Fehlkommunikation“, teilte etwa Ex-Torwart Jens Lehmann per Twitter mit. Die schwedische Tageszeitung Aftonbladet schrieb: „Wir brauchen kein Nationalstadion in Stockholm, wir haben schon eins in Berlin.“

Der Spott wird vergehen, doch die Erklärungsnot der deutschen Spieler nach ihrem Kollektiv-Einbruch bleibt. Wie konnte es bloß passieren, dass sich eine rund 60 Minuten lang famos spielende Weltklassemannschaft von einer Unsicherheit erfassen lässt, die man ihr niemals zugetraut hätte. Eine treffende Erklärung für den Wandel von Dominanz zur Hilflosigkeit nennt Sportpsychologe Thomas Ritthaler von der TU München: „Man kann das Beispiel eines Kellners heranziehen, der sich so lange alle Tische und offenen Rechnungen merken kann, bis sie bezahlt sind. Dann hakt er sie ab und streicht sie aus dem Kopf. Und für die deutschen Spieler waren alle Tische nach dem 4:0 schon abkassiert, sie hatten die Aufgabe schon als erledigt angesehen.“

Handlung abgeschlossen

In der Psychologie spricht man vom sogenannten Zeigarnik-Effekt. Demnach unterscheidet man zwischen abgeschlossenen und unerledigten Aufgaben. Der Lehre zufolge erinnert man sich an abgeschlossene Handlungen weitaus wenige als an aktive – übertragen auf das deutsche Spiel gegen Schweden heißt das: Mit dem vierten Tor ließ die zielgerichtete Anspannung nach, es gab scheinbar keinen Grund mehr, der Aufgabe weiterhin nachzugehen.

In der Folge ließen sich die DFB-Profis überrumpeln – und zwar schrittweise: Nach dem ersten Gegentor schienen sie sich keiner Gefahr bewusst zu sein, nach dem zweiten schreckten sie auf. Dann wussten sie sich den Schweden nicht mehr entgegenzustemmen. „Und schon war es zu spät. Denn nach zwei Gegentoren müsste sich ein aus vielen Einzelteilen bestehendes System auf eine komplett neue Situation einstellen. Doch die einzelnen Elemente hatten den Prozess offenbar schon abgeschlossen“, sagt Ritthaler. „Zudem wirken diese einzelnen Elemente des Systems ja aufeinander. Heißt, die eine Seite wird geschwächt, dadurch wird die andere gestärkt. Das ist wie bei einer Waage, wenn sie sich auf einer Seite nach unten bewegt, bewegt sie sich auf der anderen gleichermaßen nach oben. Schon entsteht ein neuer Prozess, der Minuten zuvor noch unvorstellbar gewesen wäre.“

Wie beim Tennis

Als Beispiel nennt Ritthaler einen im Tennis nicht unüblichen Verlauf, in dem ein Spieler einen Satz gewinnt, dann einen Matchball vergibt und später noch das ganze Spiel verliert. „Manchmal sind Kleinigkeiten ausreichend, um ein neues Gefühl von Stärke und Leichtigkeit zu vermitteln. Und wenn die sich summieren, kann ein fast schon entschiedenes Spiel tatsächlich noch mal kippen.“

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