Der Ursprung der Seuche – Tages

An einem bewaldeten Hügel im westafrikanischen Guinea liegt das kleine Dorf Meliandou, umgeben von Plantagen, auf denen Reis, Maniok, Kaffee und Kakao angebaut wird. Ein schmaler Trampelpfad führt südlich vom Dorf­rand weg zu einem rund hundert Meter entfernten Fluss, an dem sich gewöhnlich die Frauen waschen. Ungefähr auf halber Strecke dorthin steht ein auffälliger, grosser, hohler Baum, in dem die Kinder aus Meliandou noch vor einem Jahr immer gespielt haben. Auch der zweijährige Emile.

Doch genau an diesem Baum, der mittlerweile aus bisher noch nicht geklärten Gründen ausgebrannt ist, hat womöglich die verheerende Ebola­seuche ihren Lauf genommen. Einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift «Embo Molecular Medicine» zufolge hat sich der kleine Knabe aus Meliandou wahrscheinlich dort über Kontakt mit Fledermäusen oder deren Kot infiziert. Denn in der Asche sowie auch in Bodenproben um den Baum konnte ein internationales Team um den Forscher Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut in Berlin Erbsubstanz von der Fledermausart Mops condylurus finden, die bereits früher als mögliche Quelle bei ­einem Ebolaausbruch im Süden des ­Sudan ­erwähnt wird.

Eine Familientragödie

Emile gilt als «Patient Zero», wie Wissenschaftler bereits vor ein paar Monaten herausgefunden haben. Im Dezember 2013 litt er unter Fieber, musste erbrechen und hatte schwarzen Stuhl. Vier Tage danach starb er. Und eine Woche später seine Mutter, dann seine dreijährige Schwester, danach die Grossmutter, die Krankenschwester und die Dorf­hebamme. Da der Vater seit mehreren Jahren nicht mehr bei ihnen wohnte, blieb er gesund.

«Die Dorfbewohner wurden damals angefeindet und stigmatisiert», erklärt Fabian Leendertz, der im April 2014 zusammen mit seinem Team das Dorf Meliandou und die Gegend besucht hat, um die Ursache des aktuellen Ausbruchs vor Ort zu erforschen. Umso erstaunlicher sei es gewesen, dass die Menschen dort schnell Vertrauen zu ihnen gefasst und sie bei der Arbeit unterstützt hätten.

Das kleine, unscheinbare Dorf in Guinea ist der Ausgangspunkt der bisher tödlichsten Epidemie des Ebolavirus. Die dort begonnene Seuche hat mittlerweile 8220 Menschen das Leben gekostet. In den drei am schwersten vom Virus betroffenen Ländern Sierra Leone, Liberia und Guinea seien insgesamt 20 712 Fälle registriert worden, teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf gestern mit.

Um das Übel möglichst an der Wurzel zu packen und vor allem in Zukunft wirksame Präventionsmassnahmen ergreifen zu können, haben die Forscher anhand von Erfahrungen vergangener Ebola-Epidemien verschiedene Szenarien in Guinea untersucht. Dabei haben sie herausgefunden, dass zum Beispiel Schimpansen als Überträger in der Gegend keine Rolle spielen. Nach Auskunft der Dorfbewohner gebe es diese schon lange nicht mehr dort.

Obwohl die Forscher in der Umgebung von Meliandou auch zwei Früchte fressende Flughundarten gefangen haben, die im Verdacht stehen, Ebolaviren zu übertragen, und in der Region eine beliebte Nahrungsquelle darstellen, ist dieses Szenario eher unwahrscheinlich. Denn diese Tiere hängen weit oben in den Bäumen, sodass ein Erwachsener sie hätte jagen müssen und sich demnach auch als Erster mit dem Erreger angesteckt hätte.

«Den entscheidenden Hinweis auf den hohlen, verkohlten Baum haben wir von Dorfbewohnern erhalten», sagt Leendertz. Er brannte, kurz nachdem im Radio über Ebola und ein Verbot des Verzehrs von Fledermäusen berichtet wurde. Als der Baum Feuer gefangen hatte, regnete es geradezu Fledermäuse, da im Innern eine grosse Kolonie gelebt hatte. Und in der Tat konnten die Forscher die Art Mops condylurus dort anhand von Spuren noch feststellen, die zur Familie der Bulldoggfledermäuse gehört. Vom Baum waren nur noch ein mehrere Meter langer Stumpf und Äste der heruntergefallenen Krone übrig.

Grillierte Fledermäuse

Weil die Kinder früher bei dem hohlen Baum oft spielten, können sie somit beispielsweise in Kontakt mit Fledermauskot gekommen sein. Die Kinder jagten die Fledermäuse aber auch im Dorf, holten sie mit Stöcken von den niedrigen Dächern der Häuser und grillierten sie danach über einem kleinen Feuer.

Aus experimentellen Versuchen weiss man, dass die nachgewiesene Fledermausart selbst nicht am Ebolavirus erkrankt, sondern nur als Wirt dient und somit ein Reservoir für den Erreger darstellen kann. Zudem geht man aufgrund früherer Ebolaausbrüche davon aus, dass die Viren dort nur selten vorkommen und auch vermutlich dieses Mal nur einzelne Tiere einer Population den Erreger aufweisen. Und so kam es, dass eine einzige Übertragung vom Tier auf den Menschen ausreichte, um die Katastrophe auszulösen.

Als Leendertz in Meliandou ankam, war das Dorf jedoch seit zwei Wochen wieder frei von Ebola. Er habe deshalb keinen Vollschutzanzug mehr getragen, sondern lediglich den vorgeschriebenen Abstand von vier Metern zu den Bewohnern eingehalten. Die Zusammenarbeit sei nach anfänglicher Skepsis gegenüber den Fremden schnell konstruktiv gewesen. «Wir haben einige Kinder und Erwachsene sogar angestellt. Sie haben Netze gespannt, um Fledermäuse für die Probenentnahme zu fangen.»

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 06.01.2015, 22:48 Uhr)

Leave a Reply