Der Krebs, der aus der Hüfte kam

Gebannt blickt Attila Kollàr auf den Bildschirm. Dort erscheinen seltsame weiss-schwarz gefleckte Gebilde. «Da ist nichts sichtbar», sagt der Onkologe und umkreist mit dem Finger ein bestimmtes Areal auf dem Bild, das die Magnetresonanztomografie (MRT) zuvor geliefert hat. «Wir können sehr zufrieden sein.» Die junge Frau neben ihm atmet erleichtert auf. Verständlich.

Die 24-jährige Julia Schwarz, so heisst die Frau, hat die letzten zwei Jahre gegen eine seltene und schwere Krebserkrankung gekämpft. Für sie sind die Nachkontrollen auf mögliche neue Herde oder Metastasen deshalb immer mit einem flauen Gefühl verbunden. «Da kommt alles wieder hoch.»

Häufig späte Diagnose

Angefangen hat ihre Krankengeschichte scheinbar harmlos. Im Frühsommer 2013 verspürt die junge Frau, die bisher nie ernsthaft krank war, in der Hüfte plötzlich Schmerzen. Als die Beschwerden ihre Beweglichkeit zunehmend einschränken, geht sie zu ihrer Hausärztin. Die verordnete Physiotherapie bringt jedoch keine Besserung. Also schickt die Ärztin ihre Patientin für eine weitere Abklärung in eine Berner Privatklinik.

Die dortigen Ärzte finden vorerst auch nichts Konkretes, vermuten, es handle sich um eine Hüftgelenkentzündung. Erst eine zweite MRT-Untersuchung bringt endlich Klarheit: Es ist ein seltener Tumor, der auf die Nerven in der Hüfte drückt. «Das war ein Schock», sagt Julia Schwarz. «Damit hatte ich nicht im schlimmsten Fall gerechnet.»

Gleichzeitig mit der niederschmetternden Diagnose geben die Klinikärzte zu verstehen, dass sie die weitere Behandlung mangels Erfahrung lieber nicht durchführen möchten – und weisen den Fall an die Hausärztin zurück. Diese beginnt abzuklären, wer für die Behandlung eines solch seltenen Tumors am ehesten infrage kommt.
Der Zufall will es, dass zur gleichen Zeit am Berner Inselspital zwei junge Ärzte – Onkologe Attila Kollàr (40) und Orthopäde Frank Klenke (41) – damit beschäftigt sind, ein Kompetenzzentrum für Sarkomerkrankungen aufzubauen.

Denn Sarkome, wie die bösartigen Tumoren der Weichteile und Knochen genannt werden, fallen selbst in einem hoch entwickelten Medizinbetrieb wie in der Schweiz noch allzu oft durch alle Raster. Weil Sarkome so selten sind, werden sie in vielen Fällen erst spät erkannt. Und wenn sie dann endlich diagnostiziert sind, erhalten die Patienten nicht immer die bestmögliche Therapie – schlicht weil den behandelnden Ärzten die nötige Erfahrung mit diesem ungewöhnlichen Krankheitsbild fehlt.

16 Disziplinen beteiligt

Julia Schwarz aber hatte Glück. Sie kam dank ihrer vifen Hausärztin zu den beiden Medizinern am Inselspital – als eine der ersten Patienten des Sarkomzentrums. Neben den beiden Gründern Kollàr und Klenke wirken dort weitere Spezialisten aus 16 medizinischen Fachrichtungen mit, so etwa Chirurgen, Onkologen, Strahlentherapeuten, Radiologen und Pathologen. «Unser Ziel ist es, den Patienten eine optimale, interdisziplinäre Therapie anzubieten», sagt Mitinitiant Frank Klenke.

Fünfstündige Operation

Im Sarkomzentrum ging es mit Julia Schwarz denn auch rasch vorwärts. Nach einer Gewebeprobe konnte der Krebs genau bestimmt werden: ein Synovialsarkom, das nahe am Hüftgelenk wucherte. In einer fünfstündigen Operation entfernte ein Ärzteteam aus Tumor- und Hüftspezialisten die bösartige Geschwulst. Noch während des Eingriffs wurde die Patientin einer Strahlentherapie unterzogen. Nach der OP folgten weitere Bestrahlungen und eine Chemotherapie. «Da ging es mir richtig dreckig», erinnert sich Julia Schwarz.

Doch das ist längst vorbei. Zwar muss sie bis heute Physiotherapie machen, sonst aber fühlt sie sich wieder ganz ordentlich. Sie studiert Tiermedizin und frönt wieder ihrem grossen Hobby, dem Reiten. «Ich kann froh sein, dass ich ins Sarkomzentrum kam», sagt die junge Bernerin. «Hier bin ich wirklich gut aufgehoben.» (Berner Zeitung)

(Erstellt: 24.09.2015, 12:40 Uhr)

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