Der Gesang der Fledermäuse

Die Autorin Olga Tokarczuk zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern in Polen. Studiert hat sie allerdings zunächst Psychologie in Warschau und benennt die Lehren von Carl Gustav Jung als Inspiration für ihr Werk. In ihrem neuen Roman "Der Gesang der Fledermäuse" steigt sie tief ein in das Seelenleben einer schrulligen Einzelgängerin. Annemarie Stoltenberg stellt den Roman vor.



Olga Tokarczuks Roman "Der Gesang der Fledermäuse"


Eine Frau lebt allein auf einem Hochplateau im sogenannten Glatzer Kessel, also ziemlich abgelegen in den polnischen Wäldern. Dort ist eine Siedlung, in der nur von April bis Oktober Menschen sind. Im Winter pfeift der Wind gewaltig und heult in den Kaminen. Er meißelt seine Verwehungen und Dünen von Westen nach Osten. Janna kümmert sich während der Wintermonate um die Häuser der anderen, die nur in den Ferien da sind. Sie hat wenige soziale Kontakte, nur ein paar Sonderlinge leben in ihrer Nachbarschaft, so findet sie.

Leseprobe:
Mit manchen Personen sind Gespräche fast unmöglich, besonders mit männlichen. Ich habe eine Theorie zu dem Thema. Viele Männer erkranken mit fortschreitendem Alter an Testosteron-Autismus, was mit einem langsamen Schwinden der sozialen Intelligenz und einem zunehmenden Unvermögen, was zwischenmenschliche Kommunikation betrifft, einhergeht und auch das Formulieren von Gedanken beeinträchtigt. Ein von diesem Leiden befallener Mensch wird schweigsam, er scheint immer in Gedanken versunken zu sein.

Und Jäger werden zu Opfern

Dieser "Testosteron-Autismus" ist nach Meinung der Ich-Erzählerin Janna auch verantwortlich für die Unfähigkeit der Männer, Romane zu lesen. Er verstopfe das psychologische Verständnis für die Figuren. Sie entfaltet etliche solcher Theorien, die zum Teil urkomisch sind. Die wichtigsten Wesen in ihrem Leben sind offenbar ihre "Mädchen", so nannte sie ihre beiden Hündinnen, die von Jägern getötet wurden. Dann ereignen sich in der Umgebung sonderbare Todesfälle. Die Opfer sind alle Jäger gewesen.

Die kriminalliterarische "Wer war der Täter?"-Form wird nur angedeutet, man weiß es von Anfang an. Die Erzählerfigur als Mörder, den Trick hat Agatha Christie schon ausgereizt. Olga Tokarczuk geht es eher um das hochkomplizierte Innenleben ihrer Hauptfigur, die mit Astrologie und Zahlensymbolik versucht, ihre Einsamkeit, die Malaisen des Alters und ihre Ängste in Schach zu halten. Sie arbeitet an der Umsetzung einer zähen, kompromisslosen Tierliebe.

Leseprobe:
Die Tiere sagen etwas über das Land. Die Beziehung zu den Tieren verrät, wie es um das Land bestellt ist. Wenn sich die Menschen den Tieren gegenüber bestialisch verhalten, dann hilft ihnen keine Demokratie und auch sonst nichts.

Eine Parodie für Weltdiagnostiker

Der Polizei und den Behörden gegenüber behauptet Janna, die Tiere - zum Beispiel Rehe - hätten die Morde in der Umgebung begangen, weil sie es nun leid sind, schlecht behandelt zu werden. Sie schreibt Briefe an die Behörde, in denen sie die Todesfälle durch astrologisch berechenbare Konstellationen erklärt und die Ermittlungen in dieser Weise zu lenken versucht.

Olga Tokarczuks Roman ist wunderbar verdreht und verrückt, getragen von Zuneigung für die seitlich Umgeknickten, die am Rande der Gesellschaft Stehenden, die Originale. Es ist nicht nur ein Tierschützerroman, sondern auch ein ungewöhnlicher Roman über das Altern, von denen es zurzeit erstaunlich viele gibt. In diesem Fall mit einer Heldin, die sich eher im Wald unter Gestrüpp verkriechen würde, als in ein Altersheim zu gehen.

Olga Tokarczuk ist eine Parodie gelungen - auf die Branche der düsteren Weltdiagnostiker und Zivilisationskritiker - und eine zarte Verspottung des Kriminalromans. Aber man muss schon ein relativ geübter Leser sein, um das würdigen zu können.

Der Gesang der Fledermäuse

Olga Tokarczuk, aus dem Polnischen von Doreen Daume

  • Typ: Buch
  • Bestellnummer: 978-3-89561-466-8
  • Verlag: Schöffling
  • Preis: 22,95 €

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