"Das ist Psychologie"

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21. Mai 2012

BZ-INTERVIEW mit dem Wirtschaftsweisen Lars Feld: Er hält nichts von einem Konjunkturprogramm für die Eurozone/.


  1. Lars Feld Foto: bamberger

ie Krise in der Eurozone wird 2012 noch dramatischer werden als sie 2011 schon war, als die Krisengipfel der Euroländer einander jagten. Das glaubt zumindest der Freiburger Wirtschaftsprofessor Lars Feld.

D BZ: Warum fürchten Sie, dass 2012 für die Eurozone schlimmer wird als 2011?
Feld: Niemand weiß, ob die begonnenen Reformen, zum Beispiel am italienischen Arbeitsmarkt, den gewünschten Erfolg haben. Zweitens wird deutlich, dass Spanien nur auf die Beine kommen kann, wenn es seine Banken saniert. Das ist aber noch nicht geschehen. Drittens können sich die Finanzmarktteilnehmer leicht ausrechnen, dass die Rettungsschirme allen Beteuerungen zum Trotz nicht ausreichen, um Spanien und Italien zu retten, wenn das notwendig werden sollte. Viertens muss Italien in diesem Jahr mehr Staatsanleihen umschulden als in der Vergangenheit erwartet worden war, weil es sich stärker kurzfristig refinanziert hat. Schließlich sorgt der Wahlausgang in Griechenland und Frankreich für enorme Unruhe.

BZ: Weil die Finanzmarktakteure fürchten, dass der Sparkurs aufgegeben wird?

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Feld: Die Hängepartien schaffen Unsicherheit. In Griechenland wird neu gewählt. Die Wahlen finden nicht vor Mitte Juni statt. Manche befürchten einen Austritt des Landes aus der Eurozone und ziehen deshalb ihre Einlagen aus den griechischen Banken ab. In Frankreich wird sich vor den Parlamentswahlen Mitte Juni ebenfalls nicht viel bewegen.

BZ: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass nach der Abwahl von Staatspräsident Nicolas Sarkozy in Frankreich der strikte Sparkurs, den die Eurozone auf deutsches Betreiben eingeschlagen hat, aufgegeben wird?
Feld: Das kommt sehr darauf an, was man unter Sparen und unter Wachstum versteht.

BZ: Was verstehen Sie denn darunter?
Feld: Zuerst zum Sparen oder, genauer gesagt, zur Konsolidierung der Staatshaushalte. Es geht einstweilen ja darum, weniger neue Schulden zu machen, von Sparen im Sinne von "Geld auf die hohe Kante legen", kann ja keine Rede sein. Die Konsolidierung wird keineswegs so radikal betrieben, wie man oft lesen kann. Deutschland beispielsweise ist wenig ehrgeizig, im Bundeshaushalt schnell ohne neue Schulden auszukommen. Wir diskutieren vielmehr über eine Steuersenkung und über Mehrausgaben wie das Betreuungsgeld.

BZ: Weniger rigides Sparen ist noch keine Wachstumspolitik. Wachstum ist aber inzwischen das Zauberwort in der politischen Debatte.
Feld: Was da an Ideen herumschwirrt – mehr Kredite der Europäischen Investitionsbank für die bedrängten Länder, nicht abgerufene Gelder aus EU-Töpfen –, das sorgt, wenn man es denn überhaupt sinnvoll ausgeben kann, bestenfalls für einen Hauch von Impuls, sicher nicht für so viel Schwung, dass eine schrumpfende Wirtschaft plötzlich auf Wachstumskurs einschwenkt. Das ist im Großen und Ganzen Psychologie.

BZ: Was spricht denn gegen ein kreditfinanziertes Programm, mit dem Investitionen vorgenommen werden, die für Wachstum sorgen, damit Arbeitsplätze schaffen und Steuereinnahmen bringen?
Feld: Zum einen haben alle Euroländer große Zinsbelastungen durch den hohen Schuldenstand. Das gilt auch für Deutschland. In keinem Land ist die Zinsbelastung tragfähig. Das wäre sie nur, wenn die Zinsen dauerhaft niedriger wären als die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts. Deswegen verbieten sich zusätzlich Schulden. Zum Zweiten zeigen Untersuchungen, dass die Effekte solcher Konjunkturprogramme verpuffen. Ein Euro führt in aller Regel zu weniger als einem Euro zusätzliche Ausgaben der Privatleute.

BZ: Also keine Wachstumspolitik in der Eurozone?
Feld: Keine Wachstumspolitik im Sinne von staatlichen Ausgabenprogrammen, die mit neuen Schulden finanziert werden. Ich plädiere für eine Wachstumspolitik in dem Sinne, dass die überfälligen Reformen auf dem Arbeitsmarkt und auf den Gütermärkten angegangen werden. Da darf man aber keine schnellen Resultate erwarten. In Deutschland hat es nach den Reformen der rot-grünen Regierung auch einige Jahre gedauert, bis sich das in mehr Wachstum, sinkenden Arbeitslosenzahlen und hohen Steuereinnahmen bemerkbar gemacht hat.

BZ: Sie sagen im Grunde genommen "Kurs halten", erwarten aber schlimmere Turbulenzen als 2011, als die Eurozone im Herbst vor dem Auseinanderbrechen stand. Das passt nicht zusammen.
Feld: Die Eurozone ist aus zwei Gründen in der Krise: Wegen der enormen Verschuldung einiger Mitgliedsländer und weil einige Länder nicht wettbewerbsfähig sind. Diese beiden Probleme zu beheben braucht Zeit. Bis die Finanzmarktakteure überzeugt sind, dass die Staaten ihre Schulden glaubhaft begrenzen und bis Reformen greifen, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, bleibt die Lage prekär – zumal die Sicherungsmechanismen, die in den vergangenen zwei Jahren eingerichtet wurden, unzureichend sind. Die Rettungsschirme EFSF und ESM sind zu klein. Solange es Zweifel an der Eurozone gibt, wird es immer wieder neue Turbulenzen geben, die sich in steigenden Renditen für die Staatsanleihen der bedrängten Länder zeigen. Daher ist eine andere Liquiditätssicherung notwendig.

BZ: Sie haben mit dem Sachverständigenrat deshalb den Schuldentilgungspakt entwickelt. Das englische Wirtschaftsmagazin Economist nennt ihn "das am wenigsten schlechte Instrument" zur Rettung der Eurozone. Aber in Deutschland will niemand etwas davon wissen.
Feld: Das stimmt nicht ganz. Die Opposition im Bundestag findet den Schuldentilgungspakt gut, ebenso EU-Parlament und EU-Kommission. Insbesondere sind aber die internationalen Investoren wie Goldman Sachs und Pimco davon überzeugt.

BZ: Aber die Bundesregierung nicht.
Feld: Dass die Kanzlerin reserviert ist, kann ich verstehen.

BZ: Wieso?
Feld: Aus zwei Gründen: Zum Schuldentilgungspakt – also der zeitlich befristeten Vergemeinschaftung eines Teils der Staatsschulden in Euroland – gehört notwendig der Fiskalpakt, also der Zwang zur Haushaltsdisziplin. Solange der Fiskalpakt nicht in Kraft ist, wird es mit Kanzlerin Merkel gewiss keine Vergemeinschaftung von Schulden geben. Gemeinsame Haftung geht nur mit gegenseitiger Kontrolle. Das hat natürlich auch wahltaktische Gründe. Es ist für die Chefin einer konservativen Partei nicht einfach, vor Wählern eine Vergemeinschaftung von Schulden zu vertreten, selbst wenn sie zeitlich und im Ausmaß befristet ist. Ich bestreite auch nicht, dass es da knifflige verfassungsrechtliche Hürden gibt.

BZ: Also ist der Schuldentilgungspakt eine akademische Übung?
Feld: Gewiss nicht. Aber ob er kommt, kann ich nicht voraussehen. Das hängt von der Entwicklung in den kommenden Monaten ab.

BZ: Hat Griechenland das Zeug, die Eurozone zu sprengen? Oder werden wir weiter zahlen, auch wenn das Land nicht mehr spart und reformiert?
Feld: Ich halte das Erpressungspotenzial nicht mehr für groß. Wir haben zwei Jahre Krise in Griechenland, die Banken und Versicherungen in der EU haben ihre griechischen Papiere weitgehend abgeschrieben. Ich denke, wenn das Land sich nicht an die Vereinbarungen hält, gibt es kein Geld mehr, darf es kein Geld mehr geben.

BZ: Und dann?
Feld: Gäbe es zuerst einen ungeordneten Staatsbankrott. Das ist nicht zwingend mit einem Austritt aus dem Euro verbunden. Richtig teuer würde es – für uns, aber noch viel mehr für die Griechen selbst – wenn sie wieder die Drachme einführen würden.

BZ: Wie teuer denn?
Feld: Für Deutschland werden 80 Milliarden Euro genannt. Über die Summen für Griechenland zu spekulieren, hilft nicht weiter. Ich habe nichts dafür übrig, Schreckensszenarien in allen Details auszumalen. Die Euroländer tun das ihre, um den schlimmsten Fall zu vermeiden. Jetzt sind die Griechen am Zug.

BZ: Die Bundesbürger fürchten wenig so sehr wie Inflation. Ist eine Geldentwertung der Preis, den wir zahlen müssen, um die Eurozone zusammenzuhalten?
Feld: Da muss man einige Dinge auseinanderhalten. Eine leichte Geldentwertung gibt es immer. Die EZB sieht die Preisstabilität bei einer Inflationsrate von knapp zwei Prozent gewährleistet. Das gilt allerdings im Blick auf die gesamte Eurozone, nicht allein im Bezug auf Deutschland. In den gut zehn Jahren ihres Bestehens ist es der EZB durchweg gelungen, dieses Ziel einzuhalten. Mitte des vergangenen Jahrzehnts sind die Preise in den Südländern kräftig gestiegen, weil die Wirtschaft gut lief. In Deutschland war die Inflationsrate damals deutlich unter zwei Prozent. Jetzt geht es der deutschen Wirtschaft gut und im Süden läuft es schlecht. In Deutschland werden die Preise eine Weile um mehr als zwei Prozent steigen, denn im Süden steigen sie kaum oder fallen sogar.

BZ: Sie halten also die Inflationssorgen der Bundesbürger für übertrieben?
Feld: Kurzfristig sehe ich kein Problem. Eine andere Frage ist, ob es der EZB in zwei oder drei Jahren gelingt, das viele Geld wieder einzusammeln, das sie in die Banken gepumpt hat. Technisch ist das kein Problem, aber es wird politischen Druck geben, die Zinsen niedrig und die Geldversorgung üppig zu lassen. Länder, die ohnehin schon hohe Zinsen für ihre Schulden zahlen, werden sich gegen Zinserhöhungen der EZB wehren. Da können wir nur hoffen, dass die Zentralbank konsequent ihren Kurs hält.


Der 45-Jährige ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg. Zuvor lehrte er in Marburg und Heidelberg. Feld leitet auch das Freiburger Walter-Eucken-Institut. Seit dem Frühjahr 2011 ist er Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung. Die fünf Wirtschaftsforscher, auch die Wirtschaftsweisen genannt, beraten die Bundesregierung. Feld ist verheiratet und hat drei Kinder.

 

Autor: bkr


Der Schuldentilgungspakt, den der Wirtschafts-Sachverständigenrat im Herbst 2011 vorgeschlagen hat, sieht eine begrenzte Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der Eurozone vor. Die Euroländer sollen den Teil ihrer Schulden in einen Fonds einzahlen, der über die erlaubten 60 Prozent der Wirtschaftsleistung hinausgeht. Für diese Schulden – nach Berechnung des Sachverständigenrates 2,3 Billionen Euro – sollen die Euroländer gemeinsam haften. Dieser Fonds gibt Anleihen aus, mit denen die teilnehmenden Länder ihren Finanzbedarf bis zu einer Obergrenze decken können. Durch die gemeinschaftliche Haftung werden die Zinsen günstiger für die bedrängten Euroländer. Im Gegenzug muss sich jedes Land verpflichten, einen Teil seiner Steuereinnahmen zur Tilgung der Schulden zu reservieren. Binnen 25 Jahren soll der Schuldenberg abgetragen sein. So lasse sich die nötige Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten zurückgewinnen, ist Feld überzeugt.

 

Autor: weg

Autor: Jörg Buteweg und Bernd Kramer

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