Börsen-Psychologie: Warum die Anleger gerade jetzt bullish sind


heute 08:45Finanzen100

Sind Sie Bulle oder Bär? Sentix weiß, wie der Markt tickt.
Sind Sie Bulle oder Bär? Sentix weiß, wie der Markt tickt. (Foto: Deutsche Börse)

München (F100) - Euro-Krise, Inflationsängste, Schrumpf-Zinsen: Derzeit prasselt viel auf Anleger ein. Trotzdem sind Investoren verhalten zuversichtlich für die weitere Entwicklung an den Märkten. Sentix misst diesen Zusammenhang emotionaler Empfindungen mit dem Verlauf von Börsenkursen - und kann sagen, wie es vielleicht weitergeht mit Dax Co.

Emotionen regieren – das ist vor allem in der Börsenwelt der Fall. Mario Draghis Ankündigung, alles für den Euro tun zu wollen, löste kurzerhand ein Gefühl größerer Sicherheit bei Anlegern aus. Die Indizes stiegen weltweit. Für die Börse war es bislang der wichtigste Satz des Jahres, der aktuell neue Hoffnung und Vertrauen in die Märkte bringt.

Wenn Anleger gerade jetzt das Bedürfnis im Bauch verspüren, eventuelle Verluste hinter sich zu lassen und neue Chancen zu nutzen, könnte sich das auszahlen. Ist nun der richtige Zeitpunkt gekommen, seinen Aktien-Einkaufswagen vollzupacken? Aus börsenpsychologischer Sicht gibt es erste positive Hinweise.

Jammerst du noch?

„Die Grundstimmung der Anleger hat sich jetzt gedreht“, bekräftigt Patrick Hussy, Geschäftsführer von Sentix Asset Management. Mit einer selbst entwickelten Methode erfassen er und sein Team die Emotionen von Anlegern. Dabei verhalten sich menschliche Empfindungen und Marktentwicklungen nicht zwingend parallel: Euphorie an Anlegermärkten hat sich in der Vergangenheit zum Beispiel regelmäßig als negativ erwiesen. Denn verspüren Investoren einen übermäßigen Kaufdrang, ignorieren sie selbst groteske Überbewertungen. Heißt: Der Markt kommt den Erwartungen nicht mehr hinterher, Indizes fallen.

Auf der anderen Seite kann extreme Skepsis den Weg nach oben bereiten, wenn Aktieninhaber frustriert sind wegen hoher Verluste, wie beispielsweise während der Finanzkrise im Februar/März 2009. Wenn der Weltuntergang ausfällt, reicht allein schon die Erkenntnis, dass er ausfallen wird, um dem Aktienmarkt einen kräftigen Schub zu geben.

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Angst-Barometer VDax: derzeit auf Tiefststand

Mit der internetbasierten, wöchentlichen Kapitalmarktumfrage erfasst Sentix die Erwartungen sowie Handlungen von privaten und institutionellen Anlegern. Letztere machen ein Drittel des Panels aus, sie verwalten mehr als 110 Milliarden Euro. Es geht bei der Umfrage generell um Emotionen und die Weisheit der vielen: Wenn also eine repräsentative Mehrzahl der Befragten einer Meinung ist, gilt ihr Wissen als Frühindikator für wichtige Indizes auf der Welt.

Dabei unterscheidet Sentix kurzfristige Anlegererwartungen (Frage: Was passiert in den nächsten Wochen?) von mittelfristigen Erwartungen (Frage: Was wird für die kommenden Monate erwartet?). Das Team befragt rund 3800 angemeldete Teilnehmer. Aktuell zeigt sich: Während die kurzfristigen Erwartungen für den Verlauf des Dax recht verhalten sind, festigt sich gerade das Vertrauen, dass es mittelfristig aufwärtsgeht im deutschen Leitindex.

Oder kaufst du schon?

Diese Situation ist optimal: „Kurzfristig ist eine leichte Skepsis sogar gut“, bekräftigt Sentix-Experte Hussy. Zuletzt hat sich die Stimmung trotz der eindeutigen Aussagen der EZB kaum verbessert. Dagegen stieg Anfang August das mittelfristige Sentiment von Sentix um zehn Prozent – das ist verhältnismäßig viel. „Es impliziert viel Vertrauen in die Märkte“, sagt der Sentix-Chef. Anleger glauben also, dass die Ankündigungen des EZB-Präsidenten Draghi in den kommenden Monaten fruchten und die Euro-Krise eingedämmt werden kann. Es ist zwar durch diese Ankündigung keine Jubelstimmung aufgekommen – aber das ist schließlich gesund für die Märkte. Anleger sind zumindest wesentlich besser gestimmt als zuvor.

Da Sentix diese Emotionen nahezu in Echtzeit erheben kann, nutzt das Analysehaus seinen Erkenntnisvorsprung und wird auch selbst aktiv: Das hauseigene Asset-Management steuert einen eigenen Fonds (WKN: A1C2XG), der keinem Index folgt. Das Fondsmanagement entscheidet frei, wo die interessantesten Investmentchancen bestehen – und schafften selbst im Krisenjahr 2011 einen Wertzuwachs.

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Der Dax und die 7.100 Punkte

Das Team um Patrick Hussy analysiert auch Preisentwicklungen (dabei spielen die Umfragen keine Rolle). Er weiß längst, dass Anleger charttechnische Signale abwarten, um Wertpapiere zu kaufen. Zwar definiert jeder Anleger seine eigene Einstiegsgrenze, doch für den Dax sieht der Sentix-Chef momentan eine psychologische Grenze: „Wenn der Dax über 7.100 Punkte steigen sollte, wäre das für Anleger ein Anreiz zu kaufen. Im Moment sagen zwar viele noch ,nein´ zum Kauf, da die Krise zu tief in den Köpfen der Anleger verankert ist. Aber ab dieser Marke könnte sich das ändern.“

Vergleichen könne man die Stimmungslage an den Börsen mit einem Autotacho: Anleger fahren jetzt die vorgeschriebene Richtgeschwindigkeit. Zurzeit wollen sie eben alles unter Kontrolle behalten. Hussy glaubt dennoch, dass aus der aktuellen Situation ein großer strategischer Dreh in einen neuen Bullenmodus entstehen kann – also klare Kaufentscheidungen seitens der Anleger fallen können. Gleiches gilt für den MDax: Da der Index schon fast seinen historischen Höchststand erreicht hat, kann auch hier eine „magische Grenze“ bald erreicht sein.

Also schon jetzt kaufen, bevor Dax und MDax diese magischen Grenzen erreichen? Fest steht: Es gibt eine gewisse Chance, dass die Indizes auch weltweit anziehen. Die Messung des Sentix-Anlegervertrauens für die globale Konjunktur, verglichen mit dem MSCI-Welt-Index, zeigt einen interessanten Punkt: Anleger bekräftigen zwar in Bezug auf die weltweite Konjunkturentwicklung ihre Sorgen, doch dieses Barometer hat sich seit vielen Monaten erstmals wieder stabilisiert. Und der MSCI-Welt-Index steigt bereits seit Mitte 2012. Dreht nun auch der weltweite Konjunkturindex, hat dies positive Rückkopplung auf die weltweite Aktienentwicklung. Es liegt also zurzeit an denen, die den ersten Schritt wagen.

Keine Zinsblase

Und die deutschen Bundesanleihen? Anleger rechnen hier schon seit Langem mit einer Zinswende, also steigenden Renditen und spiegelbildlich sinkenden Kursen. Denn während der Bund-Future (Terminmarkt-Barometer für Bundesanleihen) seit 2008 kräftig steigt, sind Käufer hier immer nur kurzfristig investiert – und vor allem „short“. Sie glauben also überwiegend, dass der Bund-Future sinken wird.

Erstaunlich ist: Ganz gleich, wie sich der Bund-Future in vergangener Zeit verhalten hat, Anleger waren immer skeptisch. Nie kam Euphorie auf. „Das kann im Prinzip so weitergehen, denn es ist bislang keine Blase entstanden“, sagt Hussy. Nie haben Investoren im großen Stil darauf gewettet, dass der Bund-Future weiter steigt. „Der Markt führt sich vor“, so der Experte. Die unsichere Situation des Euro trägt dazu bei.

Investoren gehen aktuell davon aus, dass durch die eingeläutete Vertrauenswende dank Draghis Äußerungen auch eine neue Risikobereitschaft der Anleger entsteht. Dann heißt es, wie aktuell zu erkennen ist: lieber mehr Rendite und Dividenden mit Aktien erzielen als extrem niedrig verzinste Staatsanleihen behalten.

Keine Inflationsangst

Damit wäre eine Sorge schon mal ad acta gelegt. Und was ist mit den Ängsten, dass durch die Euro-Krise hierzulande Inflation entstehen könnte? Um diese Sorge zu messen, hat Sentix eine Themenanalyse entwickelt. Sie zeigt, ob Anleger mit Inflation rechnen und wie nach ihrer Einschätzung die Notenbank agieren wird. Ähnliche Themenindizes gibt es auch für die Entwicklung von Gold, Rohstoffen oder Währungen. Die Themenanalyse zeigt: Institutionelle Anleger fürchten aktuell kaum Inflation. Sie glauben aber bereits seit Mitte 2011, dass die Notenbank in die Märkte eingreifen wird.

Die Unsicherheit, ob und wann Mario Draghi die europäische Notenpresse anschmeißen wird und wie Politiker die aktuelle Krise in den Griff bekommen wollen – sie bestimmt weiter das Bild der Märkte. Die „Economy Clock“ von Sentix zeigt seit 2009 eine klare Richtung, wie Anleger die zukünftige Konjunkturentwicklung in Deutschland sehen. Schon Anfang 2012 rechneten die Befragten mit einer Abkühlung im deutschen Wirtschaftsraum. Doch die Erwartungen schwanken innerhalb weniger Monate jetzt so stark wie selten zuvor: Erst gingen sie in Richtung Boom, nun wieder in Richtung Abschwung.

Währungsreform? Vielleicht erscheint der Zeitpunkt gerade deshalb so passend für Sentix, einen neuen Index zu entwickeln, der die vermutete Wahrscheinlichkeit eines Euro-Zerfalls abbildet. Das aktuelle Ergebnis: 74 Prozent der Privatanleger in Europa glauben, dass die Währung nicht überleben wird. Gerade das spricht paradoxerweise für Aktien. Sie könnten als verbrieftes Bruchteilseigentum an einem Wert schöpfenden Unternehmen den Erhalt des Vermögens über die Krise hinweg sichern.

Von Focus-Money-Redakteurin Jana Tilz

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