Arzt auf Suchtgefahr bei Psychopharmaka ansprechen

Der Schritt in die Sucht ist bei diesen Medikamenten manchmal nur ein kleiner. «Patienten sollten ihren Arzt immer fragen, welche Nebenwirkung ein Medikament macht, egal welches es ist», sagte Rüdiger Holzbach, Experte für Medikamentenabhängigkeit der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). «Bei Medikamenten, deren psychische Wirkung schnell eintritt, besteht immer das Risiko einer Abhängigkeit.» Im Beipackzettel sei diese Nebenwirkung stets erwähnt. Patienten sollten ihn daher aufmerksam lesen.

Zu Psychopharmaka zählen etwa Schlafmittel, Tranquilizer und Antidepressiva. Frauen bekommen solche Mittel weitaus öfter verordnet als Männer, heißt es im neuen Arzneimittelreport der Krankenkasse Barmer GEK, der am Dienstag (26.6.) in Berlin vorgestellt wurde. Der Autor der Studie, der Gesundheitsforscher Gerd Glaeske, hält den häufigen Einsatz dieser Mittel für medizinisch riskant und warnt vor einem «Heer von Abhängigen». Kritisch wertet er auch, dass immer mehr der Arzneimittel mit Abhängigkeitspotenzial auf Privatrezept verordnet werden, die gesetzlich Versicherten sie also selbst zahlen müssen.

Passiert ihnen das, sollten Patienten hellhörig werden, rät auch Holzbach. Denn Privatrezepte sind der Kontrolle der Krankenkassen und Ärztekammern entzogen und können dadurch eine Suchtentwicklung kaschieren. Der Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt empfiehlt daher, den Arzt zu fragen: «Warum kann ich das nicht als Kassenleistung bekommen?» Wer immer wieder Medikamente privat verordne, habe offenbar Angst, dass die Krankenkasse nicht sinnvolle Verschreibungen entdeckt.

Um einer Sucht vorzubeugen, empfiehlt Holzbach Arzt und Patient außerdem, sich bei Symptomen wie Schlafstörungen und Ängsten immer zu fragen: «Reichen Medikamente als Lösung allein aus?» Das sei zwar manchmal der Fall. «Aber bei ganz vielen seelischen Nöten geht es auch darum, die Lebenssituation zu verändern, um wieder besser zurecht zukommen.» Es sei immer gut zu überlegen, was sonst noch helfen könnte, zum Beispiel eine Psychotherapie. Allerdings sei die gesellschaftliche Hemmschwelle dafür immer noch recht hoch. «Es werden lieber Tabletten eingenommen, als sich mit der eigenen Lebenssituation auseinanderzusetzen», kritisiert der Mediziner.

Grundsätzlich gewöhne sich der Körper schnell an Psychopharmaka etwa der Gattung Benzodiazepin und Non-Benzodiazepin. Beide wirkten an derselben Stelle im Gehirn und könnten abhängig machen. Der erhoffte Effekt - mehr Ruhe, weniger Angst - nutze sich rasch ab. Nach einigen Wochen seien die alten Symptome wieder da, erklärt Holzbach. Setzt der Patient das Medikament dann ab, steuert der Körper gegen, und die Symptome fallen noch heftiger aus. Der Patient nimmt das Medikament daraufhin wieder. «Das führt zu einer Langzeiteinnahme», sagt Holzbach.

«Nur ein kleiner Teil der Betroffenen entwickelt eine Abhängigkeit im engeren Sinne», erläutert er. Dabei steigt die benötigte Dosis immer weiter an. Die meisten anderen, vor allem den Patientinnen in der zweiten Lebenshälfte, seien sehr therapietreu und hielten sich lange Zeit an die verordnete Menge. «Der Arzt sieht das Problem nicht, die Betroffenen sind ja nicht süchtig, denn sie steigern die Dosis nicht.» Schleichende Veränderungen wie Anteilslosigkeit, weniger körperliche Spannkraft und nachlassende Konzentrationsfähigkeit seien unauffällig. «Sie werden nicht als typische Nebenwirkungen des Medikaments erkannt, sondern als typische Alterungsprozesse abgetan.»

Barmer GEK Arzneimittelreport 2012 zum Nachlesen

DHS-Broschüre zum Umgang mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln

Selbsttest zu unerwünschten Wirkungen von Psychopharmaka

news.de/dpa

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