Anteilnahme im Internet Wie ernst gemeint ist die Trauer per Mausklick?

Es braucht nur einen Klick und die Anteilnahme ist da. Nach Katastrophen oder Terror-Anschlägen wie jetzt in Paris häufen sich Online-Bekundungen bei Facebook, Twitter usw. Doch warum machen wir das? Wir ernst ist das gemeint? Antworten hat Peter Walschburger (69), Professor für Psychologie an der Freien Universität Berlin.

Professor Walschburger, viele Menschen bekunden in den sozialen Medien Anteilnahme durch Kommentare, durch das Friedenssymbol mit dem Eiffelturm, durch die Trikolore, die ihrem Profilfoto unterlegt ist. Warum machen Menschen das?

Menschen sind soziale Wesen, die sich über Gruppenzugehörigkeit definieren. Normalerweise würde man sich nicht mit Pariser Gruppen solidarisieren, aber bei solchen Vorkommnissen, wenn Menschen Angst haben oder ihre Sicherheit bedroht ist, rücken sie näher zusammen und identifizieren sich mit den Opfern. Unsere Welt ist globaler geworden: Was Informationen angeht, aber eben auch den Terrorismus.

Unser Dorf ist also nur größer geworden?

In dieser Hinsicht ja. Und die sozialen Netzwerke sind ideale Träger für Empathie-Äußerungen. Vor allem abkürzende Statements, einfach zu verstehen und einfach zu verfassen. Man zeigt seine Trauer und sein Mitgefühl. Noch deutlicher gelingt dies bei bildhaften Symbolen, wie dem Schriftzug „Je suis Charlie“ oder dem Eiffelturm im Kreis.

Für wen macht man das? Vor allem für sich selbst?

Sowohl für sich selbst als auch für andere. Man will verdeutlichen, dass man im gleichen Boot sitzt. Die Menschen, die in Paris das Konzert besuchten, hatte zunächst nichts mit den Deutschen zu tun. In den Terroranschlag kann man sich aber gut einfühlen, weil auch unsere freie Entfaltung durch die Fanatiker bedroht wird.

Welche Funktion hat das für die Gruppe, wenn viele Menschen Empathie äußern?

Wenn eine Gruppe bekannter Personen bedroht wird, schließt sie sich sofort enger zusammen, zeigt Mitgefühl mit den Opfern und hilft ihnen. In unserer Evolution bringt es bis heute einen Überlebensvorteil, wenn die Mitglieder einer Gruppe bei Gefahr ihre Gefühle und Handlungen synchronisieren, also aufeinander abstimmen. So kommt es zur gemeinsamen Trauer, aber auch zur Verarbeitung von Angst, Zorn auf die Terroristen und zum gemeinsamen Widerstand. Das Problem ist heute, dass die Terrorgefahr nicht fassbar ist, dass sie überall entstehen kann. Das ist die größte Waffe der Terroristen: Wenige von ihnen können riesige Menschenmengen großflächig verunsichern.

Das scheint also in einer langen Tradition zu stehen. Erfüllten Klageweiber schon solch eine Funktion?

Klageweiber sind ein ritueller Ausdruck einer Trauerstimmung in traditionellen Gesellschaften. Das waren ja keine Verwandten, sondern angemietet Frauen, die beweinten. So wurde öffentlich in der Gruppe eine Trauerstimmung vermittelt und aufrechterhalten. Aber bei dem Terrorismus sehe ich weniger die Trauer als die Betroffenheit, das Erschrecken darüber, dass Menschen in unsere Welt eindringen, die sich und uns für eine vermeintliche grausame, absurde Visionen opfern.

Aber gibt es nicht eine Verbindung zwischen der Art und Weise, wie zum Beispiel nach dem Tod von Prinzessin Diana kollektiv getrauert wurde und den momentanen Trauern im Internet?

Ganz bestimmt. Auch wenn es sich jetzt nicht um ein Idol handelt, können sich viele von uns so gut in die Opfer einfühlen, dass ihre Trauer echt und tief ist. Bei anderen vermischt sich ihre Niedergeschlagenheit mit der Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft unglaublich verletzlich ist.

Soll eine solche Empathie-Geste im Internet nicht vor allem zeigen, dass man dazugehört?

Richtig. Moderne Medien vermitteln rasch und global die Aufreger, ich nehme über mein Handy teil und kommentiere; so verbreiten sich die Aufreger rasant. Wie bei einem Kettenbrief wird das alles enorm verstärkt.

Der Vorwurf lautet, dass man eher für europäische Vorfälle Empathie äußert, nicht für Terrorakte im Libanon oder im Irak. Liegt das an einer gefühlten Nähe?

Wir reagieren auf alle Katastrophen, über die Medien bildhaft berichten. Über Naturkatastrophen und Terrorakte, deren Opfer wir unter keinen Umständen werden wollen. Aber unsere Reaktion ist umso stärker, je mehr wir uns mit den Menschen identifizieren können. Und in Menschen aus Paris, die einen Stadtbummel machen oder ein Konzert besuchen, können wir uns leichter einfühlen als in Menschen aus der arabischen Welt oder aus afrikanischen Staaten.

Und wie entscheidend ist die Außergewöhnlichkeit der Katastrophe? Das verheerende Erdbeben 2010 auf Haiti hat ja auch Solidarität erzeugt.

Besonders betroffen macht ein extremer Schrecken, der plötzlich über uns hereinbricht. Verliert ein Mensch bei einem Autobahn-Unfall sein Leben, bewegt das nicht so sehr, wie ein Massenunfall, bei dem 30 Menschen ums Leben kommen. Und wenn mindestens 129 Menschen in Paris erschossen werden, ist das ein kaum fassbarer Eingriff in unsere vermeintlich sichere Welt. Es ist – Gott sei Dank – noch ein fast singuläres Ereignis.

B.Z. Video

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