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Der HSV empfängt am heutigen Sonnabend (15.30 Uhr, Sky live) den SC Freiburg. Es ist die Partie zwischen dem Tabellen-14. und dem Vorletzten der Bundesliga, ein Kellerduell. Vor allem bei den Hamburgern steht die Sorge vor einer Fortsetzung des freien Falls im Vordergrund. Zuletzt fuhren sie nur einen von zwölf möglichen Punkten ein. "Das wird kein Leckerbissen", sagte Trainer Thorsten Fink, Verteidiger Michael Mancienne kündigte eine "Schlacht" an, und Mittelfeldspieler David Jarolim prophezeite "Abstiegskampf pur" im Volkspark. Für Werner Mickler steht dennoch ein Fußballfest bevor, denn der HSV eignet sich zu Studienzwecken. Der 59-Jährige lehrt am Institut für Psychologie der Deutschen Sporthochschule Köln und leitet die psychologische Ausbildung im Fußball-Lehrer-Lehrgang des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Für die "Welt" hat er die mentale Verfassung der Hamburger Profis analysiert.

Die Welt: Der HSV wähnte sich in Sicherheit, steckt aber wieder mittendrin im Abstiegskampf. Führt das zu einer Blockade in den Köpfen?

Werner Mickler: Wenn ich mir das Spiel gegen Schalke 04 ansehe, dann ist davon nichts zu erkennen. Ich habe keine Blockade in den Köpfen der Spieler entdeckt. Die Mannschaft hat nicht schlecht gespielt, sie hat sich Torchancen erarbeitet, ist mutig nach vorn gegangen, hat aber Fehler in der Abwehr gemacht, die alles über den Haufen geworfen haben. Das Entscheidende ist, wie die Spieler mit der Situation umgehen, ob sie denken, sie wären schon im gesicherten Bereich, oder ob sie kapieren, dass sie noch eine Menge tun müssen, um das Ziel, in der Bundesliga zu bleiben, zu erreichen.

Die Welt: Der Vorsprung auf die Abstiegszone schmilzt, beträgt nur noch vier Punkte. Lähmt der Blick auf die Tabelle?

Werner Mickler: Der Schrecken kann in die Glieder fahren, das kann passieren. Aber die Spieler dürfen sich nicht einreden, dass nach diesem Wochenende abgerechnet wird. Es sind dann immer noch acht Spieltage. Wichtig ist, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was ich jetzt machen kann - und das ist die Partie gegen Freiburg. Selbst wenn dieses Spiel verloren gehen sollte, ist der HSV ja nicht abgestiegen. Genug Zeit, das zu regeln, daher kann die Mannschaft ganz befreit aufspielen. Sie hat vorher schon gezeigt, dass sie gut Fußball spielen kann.


Die Welt: Der HSV ist ein Neuling im Abstiegskampf. Ein Nachteil?

Werner Mickler: Sicherlich sind die Spieler von anderen Voraussetzungen ausgegangen und haben nicht damit gerechnet, dass es zu diesem Zeitpunkt der Saison noch gegen den Abstieg gehen würde. Da haben Teams wie Kaiserslautern, Freiburg, Hertha BSC oder Augsburg einen Vorteil, sie waren von Anfang an auf den Existenzkampf eingestellt. Sie haben in diesem Bereich schon Erfahrungen gesammelt, aber auch dem HSV dürfte frühzeitig klar geworden sein, dass es zunächst das oberste Ziel sein muss, den Klassenverbleib sicherzustellen, spätestens nach dem schlechten Saisonstart und dem Trainerwechsel im Herbst.

Die Welt: Wie sollten die Verantwortlichen des Klubs mit der Situation umgehen?

Werner Mickler: Wichtig ist es, den Spielern klarzumachen, dass sie Schritt für Schritt denken müssen, sich nur mit der Aufgabe auseinandersetzen dürfen, die bevorsteht. Das müssen sie in die Köpfe bekommen, nicht irgendwelche Fernziele.

Die Welt: Auch Thorsten Fink gerät zunehmend unter Druck.

Werner Mickler: Fink hat doch bereits nachgewiesen, dass er ein guter Trainer ist, dass er eine Mannschaft weiterentwickeln und erfolgreich Fußball spielen lassen kann. Er ist ein Typ, der sehr positiv an die Aufgaben herangeht, die es zu lösen gilt, und weiß, welche Schritte einzuleiten sind. Es liegt an den Spielern, diese auf dem Platz umzusetzen.

Die Welt: Bei seiner Verpflichtung wurde Fink als "Siegertyp" gepriesen. Aber ist er dem Abstiegskampf gewachsen?

Werner Mickler: Er hat den Abstiegskampf als Spieler mit Wattenscheid erlebt, das ist nicht völlig neu für ihn. Außerdem musste er auch beim FC Bayern kämpfen, um sich durchzusetzen und sich diese Siegermentalität zu erarbeiten. Das ist ihm ja nicht geschenkt worden. Er kommt aus dem Ruhrgebiet, da spielt es eine ganz wichtige Rolle, für den Erfolg hart zu arbeiten. Das ist entscheidend, er weiß, dass er täglich arbeiten muss, sein Bestes geben muss, um etwas zu erreichen. Das wird er seinen Spielern vermitteln. Es ist eine kritische Situation, aber er hat es selbst in der Hand, das zu meistern. Ich traue ihm zu, beim HSV etwas aufzubauen, Strukturen zu schaffen.

Die Welt: In dieser Situation sind Führungsspieler gefragt. Mladen Petric und David Jarolim sollen Eckpfeiler sein, wissen aber, dass sie der HSV im Sommer aussortiert. Ein Problem?

Werner Mickler: Es ist doch ganz normal im Profigeschäft, dass Verträge von Spielern nicht verlängert werden. Dem Spieler muss klar sein, dass er auch für sich spielt, dass es für ihn darum geht, sich für einen neuen Arbeitgeber zu empfehlen - und die Klubs, die interessiert sind, werden ganz genau hinsehen, wie sich der Spieler in dieser schwierigen Situation präsentiert, ob er weiter alles gibt oder ob er sich hängen lässt. Dem Spieler muss klar sein: "Je besser du dich verkaufst, desto bessere Angebote wirst du bekommen." Außerdem will ein Spieler einen guten Abgang haben. Dieser Verantwortung muss er sich stellen. Das Engagement lohnt sich auf jeden Fall.

Die Welt: Der HSV steckt nicht nur unerwartet im Abstiegskampf, das Team leidet auch noch an einem Heimkomplex. Nur zwei von 13 Spielen im Volkspark wurden gewonnen.

Werner Mickler: Statistiken beziehen sich immer auf Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen. Darauf sollte die Aufmerksamkeit nur dann gelegt werden, wenn es weiterhilft. Das ist beim HSV nicht der Fall. Also sollten sie sich gar nicht damit beschäftigen. Die Spieler sollten sich damit auseinandersetzen, was sie beeinflussen können: Wie knacken wir jetzt Freiburg? Welche taktischen Mittel können wir einsetzen? Alles andere würde tatsächlich zu Blockaden in den Köpfen führen.

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