Allergien wirksam vorbeugen

Britische Mediziner haben einen Weg entdeckt, wie sich der Erdnussallergie – und möglicherweise auch anderen Allergien – vorbeugen lässt: indem die Kinder von klein auf regelmässig Erdnussprodukte bekommen. Das Ergebnis der aktuellen Studie ist das genaue Gegenteil dessen, was Eltern jahrelang geraten wurde, nämlich ihre Kinder von Erdnüssen fernzuhalten.

Bei Kindern stehen Erdnüsse – nach Hühnerei und Milch – an dritter Stelle der Nahrungsmittelallergien. Kein anderes Nahrungsmittel löst so oft allergische Schockzustände aus wie Erdnüsse. Bei hochallergischen Personen genügen winzige Mengen, zum Beispiel in der Luft oder als Zusatz in Schoggi, um eine schwere Reaktion auszulösen, die tödlich sein kann. Und Allergien gegen Erdnüsse werden immer häufiger.

Vermutlich sensibilisieren sich die Kinder beim Kontakt mit Erdnusseiweiss über die Haut. Besonders häufig passiere dies bei solchen mit Neurodermitis, sagt Thomas Kündig, Allergologe am Zürcher Universitätsspital. Die einzige Therapie, die es bislang gegen Erdnussallergie gibt, ist das strikte Vermeiden. Trotzdem kommt es aber jedes Jahr bei bis zu 50 Prozent der Betroffenen zu Zwischenfällen.

Über eine Ungereimtheit gestolpert

Über die richtige Vorbeugung scheiden sich seit 2008 die Geister. Bis dahin galt die Empfehlung, Schwangeren und Kleinkindern möglichst keine Erdnüsse zu geben, auch keine entsprechenden Produkte wie Erdnussbutter. Dann aber fiel britischen Allergiespezialisten eine Ungereimtheit auf: Unter Schulkindern in London, die als Kleinkinder keine Erdnüsse zu essen bekommen hatten, war die Erdnussallergie zehnmal häufiger als bei Kindern in Israel, die von klein auf regelmässig Erdnussprodukte erhalten hatten.

Also starteten die Mediziner vom King's College in London ein Experiment: Sie teilten 640 Babys im Alter von vier bis elf Monaten per Los in zwei Gruppen ein: Eine Gruppe bekam dreimal pro Woche Erdnussflips oder Erdnussbutter; insgesamt sollten die Kinder so wöchentlich sechs Gramm Erdnussprotein zu sich nehmen. Die Eltern der anderen Gruppe wurden angewiesen, ihren Kindern keinerlei Erdnussprodukte zu geben. Alle Kinder litten an schwerer Neurodermitis und/oder Allergie gegen Hühnerei – sie hatten folglich ein hohes Risiko für weitere Allergien wie die Erdnussallergie. Im Alter von fünf Jahren wurden alle Versuchsteilnehmer mittels Haut- und Bluttest auf eine Erdnussallergie untersucht.

«Der Effekt ist eindeutig»

«Die Ergebnisse sind frappierend», urteilen zwei Kommentatoren im «New England Journal of Medicine», wo die Studie gestern online publiziert wurde. In der «Erdnuss-Gruppe» waren mit fünf Jahren nur 1,9 Prozent der Kinder allergisch auf Erdnüsse, in der «Keine-Erdnüsse-Gruppe» waren es dagegen 13,7 Prozent. Selbst für die Untergruppe der Kinder, die bereits zu Beginn der Studie leichte Anzeichen einer Allergie hatten, lohnte sich das Erdnussflipsfuttern: Von ihnen wurde etwa jedes zehnte Kind allergisch, gegenüber jedem dritten Kind in der Nicht-Erdnuss-Gruppe. Die regelmässige Aufnahme von Erdnuss komme bei diesen Kindern offenbar einer «oralen Immuntherapie» gleich, sagt Kündig. Er findet die Ergebnisse «sehr interessant, und die Effekte sind eindeutig».

Sollen nun alle Kleinkinder Erdnussflips essen? Was passiert, wenn sie eine Weile damit aussetzen? Und funktioniert die Methode auch bei anderen Allergien? All das sei offen, schreiben die Kommentatoren Rebecca Gruchalla und Hugh Sampson, aber sie geben Eltern bereits jetzt einen Rat: Alle «Risikokandidaten» für eine Erdnussallergie sollten im Alter von vier bis acht Monaten mittels Allergiehauttest auf Erdnuss getestet werden. Fällt der Test negativ aus, sollen die Kinder mindestens drei Jahre lang dreimal wöchentlich je zwei Gramm Erdnussprotein bekommen. (Vorsicht aber mit spanischen Nüssli, Kleinkinder können daran ersticken oder sie in Nase und Ohren stecken!) Zeigt der Test eine leichte Erdnussallergie an, sollten die Kinder unter fachärztlicher Aufsicht Erdnuss essen. Geht das gut, raten die beiden Allergologen, ebenfalls mit der «Erdnuss-Diät» zu beginnen.

Nicht ins Gesicht schmieren

«Auch wenn die Resultate so klar sind, finde ich es mutig, gleich so einen Rat zu geben», sagt Kündig. Es könne zum Beispiel eine Rolle spielen, ob die Kinder die Erdnüsse essen oder über die Haut damit in Kontakt kommen. «Wenn sie sich Erdnussbutter ins Gesicht schmieren, erreicht man vielleicht das Gegenteil.»

Kündig vermutet, dass die Methode bei einer Hühnerei- oder Kuhmilchallergie nicht funktionieren wird. Denn anders als bei Erdnussprodukten führe der Konsum von Kuhmilch in den ersten sechs Lebensmonaten gehäuft zur Allergie. «Wird Kuhmilch erst nach dem sechsten Lebensmonat in den Speiseplan der Kinder eingeführt, bekommen sie seltener eine Kuhmilchallergie.»

(Siehe auch: Die Erdnussallergie ist geknackt, «SonntagsZeitung» vom 27.4.2014)

(DerBund.ch/Newsnet)

(Erstellt: 24.02.2015, 18:30 Uhr)

Leave a Reply