Zwischen Psychologie und Aberglaube

Ein ungeschriebenes Gesetz sagt: Keine Mannschaft kommt ohne Krise durch ein WM-Turnier. Das gilt bei der WM 2013 auch für die Grossen. Soeben hat es Weltmeister Russland gegen Frankreich erwischt (1:2) und die Tschechen gewannen gegen Dänemark erst im Penalty-Schiessen (2:1 n.P.). Nur die Schweizer tragen kugelsichere Westen und stehen als einziges der 16 Teams immer noch ohne Niederlage da: Vier Spiele, vier Siege (gegen Schweden, Kanada, Tschechien und Slowenien).





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Die Schweizer Nati an der WM 2013Die besten Bilder der Eishockey-WM 2013



Seit der 7:1-Kür gegen Slowenien ist klar: Wenn nicht noch eine Elch-Herde schnaubend aufs Eis galoppiert, schaffen wir das Viertelfinale. Zwar ist es theoretisch noch nicht geschafft. Praktisch aber schon: Zwei Punkte aus den letzten drei Partien gegen Dänemark (Sa, 12.15), Norwegen (So, 20.15) und Weissrussland (Di, 12.15) reichen in jedem Fall. Das bedeutet: Die Schweizer warten sieben (!) Tage und drei Partien, bis zum nächsten Donnerstag, auf das Spiel der Spiele.

Die 15-Minuten-Krise

Wie aber kann über einen so langen Zeitraum die Form bewahrt werden? Gelingt es Nationaltrainer Sean Simpson, das Glück nach vier Siegen in Serie an dieser WM 2013 festzuhalten? Wie lange bleiben wir von einer Krise, einem Durchhänger verschont? Seit 1998 hat es uns jedes Mal spätestens im Viertelfinale erwischt.

Waren die schwachen ersten Minuten gegen Slowenien, die zu einem kurzzeitigen 0:1-Rückstand führten (Ausgleich zum 1:1 erst in der 15. Minute) vielleicht schon diese unvermeidliche Krise für die Schweizer? «Es ist klar, dass niemand ohne Formschwankungen durch eine WM kommt», sagt Sean Simpson. «Es wäre natürlich schön, wenn der Beginn der Partie gegen die Slowenen bereits unsere Krise war.» Aber er ahnt, dass die nächsten Tage möglicherweise nicht so einfach werden. Nun kommt ihm die Erfahrung zu Gute, die er während den letzten drei WM-Turnieren gewonnen hat. Dabei hat er eines gelernt: Nimm nie einen Eishockeyspieler vom Eis.

Niederlagen nach freien Tagen

Aberglaube oder höhere Psychologie? Wohl eher höhere Psychologie. 2010 gab Simpson den Spielern vor dem Viertelfinale gegen Deutschland trainingsfrei – es folgte eine 0:1-Niederlage, die heute noch schmerzt. 2011 führte ein trainingsfreier Tag vor der Partie gegen Schweden auch nicht zur Wende und wir verpassten das Viertelfinale. Und vor einem Jahr führte der trainingsfreie Tag zum WM-Lichterlöschen: Es folgte eine 2:4-Pleite gegen Frankreich, die uns um alle Viertelfinalhoffnungen brachte. «Ich weiss ja nicht, ob es tatsächlich am trainingsfreien Tag lag», sagt Simpson. «Das Warm-up am Vormittag vor dem Frankreichspiel war fantastisch.» Aber er hat die Lehren gezogen: Kein trainingsfreier Tag bei dieser WM 2013.

Die Schweizer haben diese Woche am Donnerstag und Freitag kein Spiel. Die nächste Partie folgt erst am Samstag gegen Dänemark (12.15 Uhr, live SRF 2). Normalerweise wäre mindestens einer dieser zwei spielfreien Tage auch trainingsfrei. Aber nach den bitteren Erfahrungen von 2010, 2011 und 2012 eben nicht mehr. «Das Training am Donnerstag war nur leicht», sagt Simpson. «Aber wir waren in der Kabine, wir zogen uns um, wir standen auf dem Eis und so bleiben wir drin im Turnier.» Erst dann gab es für die Spieler ein wenig Müssiggang mit einem Schiffsausflug am späteren Nachmittag.

Freizeit unter Aufsicht

Kann ein Tag ohne Eis bei einem Eishockeyspieler tatsächlich zu einem Systemausfall führen? Oder ist es eher Aberglaube? Sean Simpson sagt, es könne schon sein, dass ein Tag ohne Eis, ohne Ausrüstung und ohne Aufenthalt in der Kabine dazu führe, dass die Spieler unbewusst aus dem Turnier «ausloggen». SCB- und Nationalmannschafts-Leitwolf Martin Plüss (WM-Debüt 1998 unter Ralph Krueger) sagt, er habe zwar keine Probleme mit einem trainingsfreien Tag während einer WM. Aber er räumt ein: «Das gilt für mich. Aber es ist durchaus möglich, dass es für andere Spieler so nicht gilt.»

Bereits Simpsons Vorgänger Ralph Krueger, ein Gross- und Hexenmeister der psychologischen Alchemie, hat sorgsam darauf geachtet, dass die Spieler während einer WM nicht zu lange sich selber überlassen blieben und gewährte keine gänzlich freien Tage. Gingen die Schweizer nicht aufs Eis, sorgte er für ein anderweitiges Beschäftigungsprogramm unter Aufsicht.

Eigentlich es ist ja logisch, bei einer WM keine eistrainingsfreien Tage zu gewähren. Einen Fisch holt man nicht aus dem Wasser und einen Eishockeyspieler nicht vom Eis, wenn er in Form bleiben soll. Und selbst die fürsorglichsten Bauern befreien ihre Arbeitspferde während der Mittagspause nicht vom Zaumzeug und vom Geschirr.

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