Zukunftsvorstellung: Menschen unterschätzen eigene Wandlung

Menschen neigen dazu, ihre persönliche Entwicklung für beendet zu halten - eine Fehleinschätzung, wie eine Studie mit rund 19.000 Teilnehmern belegt. Die Ergebnisse mehrerer Tests zu Persönlichkeit, Werten und Vorlieben lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Im Schnitt nehmen die Befragten an, dass sie sich in den kommenden zehn Jahren viel weniger ändern werden als im vergangenen Jahrzehnt. Dies gilt nach Aussage der Forscher Jordi Quoidbach von der Harvard University in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) für alle befragten Altersgruppen. Die Teilnehmer der im US-Wissenschaftsmagazin "Science" veröffentlichten Studie waren zwischen 18 und 68 Jahren alt.

Das Forscherteam hatte unter anderem auf der Internetseite einer populären Fernsehshow die Teilnehmer zur Online-Befragung eingeladen. Mit etablierten psychologischen Methoden wurden Persönlichkeitsmerkmale, Werte und Vorlieben erfasst. Das Team verglich dabei zum Beispiel die Zukunftsvorstellungen von heute 18-Jährigen mit den Veränderungen in den vergangenen zehn Jahren von heute 28-Jährigen. Zudem werteten die Forscher Daten von rund 3800 Teilnehmern der sogenannten Midus-Studie aus, die mehrmals über ihr vergangenes Leben und ihre Zukunftsvorstellungen befragt wurden.

Quoidbach und Kollegen bezeichnen das Phänomen als die Illusion vom Ende der Geschichte. Viele Menschen würden annehmen, sie seien am Ziel ihrer persönlichen Entwicklung angekommen. Dies habe durchaus negative Konsequenzen für langfristige Entscheidungen. "Junge Erwachsene bezahlen, um die Tattoos zu entfernen, für die sie als Jugendliche Geld ausgegeben haben. Erwachsene mittleren Alters lassen sich von denen scheiden, die sie in jüngeren Jahren geheiratet haben. Ältere gehen in Fitnessstudios, um die Kilos abzutrainieren, die sie sich im mittleren Alter in Restaurants angefuttert haben", schreiben die Forscher.

Ansprechend, bewundernswert, vernünftig

In einem Experiment zeigten Quoidbach und Kollegen, wie die "Ende der Geschichte"-Illusion auch zu Fehlentscheidungen führen kann: Die Hälfte der Teilnehmer sollte angeben, wie viel Geld sie sofort ausgeben würden, um in der kommenden Woche ein Konzert der Band zu sehen, die vor zehn Jahren ihre Lieblingsgruppe war - es waren rund 80 Dollar. Die andere Hälfte teilte dagegen mit, wie viel Geld sie sofort in eine Karte investieren würden, mit der sie einen Auftritt ihrer heutigen Lieblingsband in zehn Jahren besuchen könnten. Hier investierten die Befragten im Schnitt 129 Dollar. "Unterm Strich würden die Teilnehmer also viel zu viel ausgeben, um in der Zukunft eine gegenwärtige Vorliebe zu genießen", heißt es in der Studie.

Die Autoren der Studie erklären die "Ende der Geschichte"-Illusion zum einen damit, dass die meisten Menschen glaubten, ihre aktuelle Persönlichkeit sei ansprechend, ihre Werte bewundernswert und ihre Vorlieben vernünftig. "Und nachdem sie diesen erhabenen Zustand erreicht haben, könnten sie zögern, über mögliche Veränderungen nachzudenken."

Zum anderen sei eine Voraussage etwas völlig anderes als ein relativ einfacher Bericht über Vergangenes. Falls Menschen es schwierig finden, sich vorzustellen, wie sich ihre Vorlieben oder Werte wandeln werden, wäre das auch ein Grund, diese Veränderungen zu unterschätzen.

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