Zeitgefühl im Urlaub: Warum die Zeit wie im Flug vergeht

Stuttgart - Wie man es dreht und wendet: zwei Wochen bleiben zwei Wochen und 14 Tage sind nun einmal exakt 336 Stunden. Und dennoch erscheint einem die erste Hälfte des Urlaubes in der Regel deutlich länger als die zweite. In der zweiten Hälfte zerrinnt die Zeit förmlich. In der Literatur ist viel darüber geschrieben worden, und Psychologen untersuchen derartige Zeitphänomene in Studien. Fest steht: Zeitwahrnehmung ist eine subjektive Angelegenheit.

Der Sozialpsychologe Roland Deutsch von der Technischen Universität Dresden erklärt die Sache zum Beispiel so: In der Mitte des Urlaubes denke man oft: „Mensch, ich hab’ schon ganz viel erlebt!“ In der zweiten Hälfte habe man dagegen weniger neue Eindrücke, weil man die Ferienanlage und die Umgebung schon kenne. Dadurch entstehe am Ende des Urlaubes das Gefühl, die zweite Hälfte sei schneller vergangen.


Manchmal ändert sich das Zeitgefühl auch noch nachträglich, wenn der Urlaub schon vorbei ist. „Wenn im Urlaub nicht viel passiert, wenn man sich einfach nur gepflegt langweilt, vergeht die Zeit sehr langsam“, sagt Deutsch. Doch im Nachhinein, wenn man auf den Urlaub zurückblicke, erscheine er kurz – gerade weil man nicht viel erlebt hat und nicht viele Erinnerungen daran hat.

Warum dauert die Anfahrt bloß so lange?

Man hat also die Wahl: Möchte man während des Urlaubes das Gefühl haben, dass dieser langsam vergeht, sollte man sich gepflegt langweilen. Ist es einem hingegen wichtiger, dass einem der Urlaub in der Erinnerung länger vorkommt, müsste die Devise lauten, jedes Jahr ein neues Reiseziel auswählen und möglichst viele Ausflüge unternehmen.

Roland Deutsch überträgt diese Effekte auf das gesamte Leben. Mit fortschreitendem Alter habe man das Gefühl, dass die Zeit immer schneller vergehe. Auch hier spielen seiner Ansicht nach die neuartigen Eindrücke, die im Laufe der Jahre immer weniger würden, die entscheidende Rolle. „Am Anfang“, sagt er und meint damit das Kindesalter, „hat man viele neue Eindrücke, die das strecken.“

Passt diese Erklärung auch zum Phänomen, dass viele Menschen den Hinweg trotz identischer Entfernung als länger empfinden als den Rückweg? Der Psychologe Niels van de Ven von der Universität Tilburg in den Niederlanden hat dazu eine Studie durchgeführt. Van de Ven spricht von einer Sinnestäuschung beziehungsweise von einem Denkfehler und nennt ihn „Return-Trip-Effect“, der inzwischen auch als Rückreise-Effekt bekannt ist.

Bisher war man davon ausgegangen, dass einem die Rückfahrt deswegen kürzer vorkommt, weil man die Route bereits von der Hinfahrt kennt. In der Studie von van de Ven, die gemeinsam von Forschern aus den Niederlanden und den USA durchgeführt wurde, schätzten 350 Personen tatsächlich die Rückreise um durchschnittlich 22 Prozent kürzer ein als die Hinreise. Dazu hatte eine Gruppe an einer Busreise teilgenommen, eine Gruppe machte einen Ausflug mit dem Fahrrad, und die dritte Gruppe schaute sich lediglich das Video von einer Radtour an.

Doch van de Ven hat eine andere Erklärung für die verzerrte Wahrnehmung der Zeit: „Häufig unterschätzen wir die Zeit, die wir für die Anreise benötigen und empfinden diese deshalb als lang.“ Wir erwarten aus diesem Grund eine lange Rückreise – und sind dann überrascht, wie schnell wir wieder zu Hause sind. Interessant ist, dass dieses Phänomen nicht nur auftritt, wenn der Rückweg mit dem Hinweg identisch ist. „Der Effekt hält auch bei einer neuen, doch gleich langen Reiseroute an“, sagt van de Ven.

Das Thema Zeitwahrnehmung beschäftigt viele Psychologen. Der Freiburger Zeitforscher Marc Wittmann hat ein Buch über die gefühlte Zeit geschrieben. In seiner „kleinen Psychologie des Zeitempfindens“ erklärt er, dass die Sehnsucht nach dem Ankommen im Urlaub und dem Entkommen aus dem Alltag die Zeit der Hinreise dehne. Ebenso empfinde man das Warten auf den Anruf der Liebsten als unendlich lange, weil man so sehr auf die Zeit fixiert sei.

Vom Erholungswert des Urlaubes ist in den entsprechenden Studien übrigens keine Rede. Während der eine sich im Urlaub nach Abwechslung und Abenteuer sehnt, wünscht sich der andere nichts anderes als gar nichts tun zu müssen. Und alle, deren Bedürfnisse nicht erfüllt wurden, müssen Wittmann zufolge eine letzte Hürde überstehen: Wenn der Urlaub scheußlich war und man sich nach Hause zu seinen Freunden sehnt, empfindet man die Rückreise als besonders lang.

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