Zehn Tipps – Wie Angehörige Onlinesüchtigen helfen können

Wenn jemand zu oft am Rechner hängt und der Altag nicht mehr funktioniert, ist auch das Umfeld betroffen. Doch was tun? Denjenigen darauf ansprechen und die Konfrontation suchen? 10 Tipps vom Experten, die Angehörigen von Onlinesüchtigen helfen.

Online spielen, surfen oder chatten – was wie ein Zeitvertreib oder ein Hobby beginnt, kann schnell außer Kontrolle geraten. Wenn das ständige Onlinesein dazu führt, dass Menschen ihr reales Leben – Freunde, Arbeit, Schlaf und Ernährung – vernachlässigen, dann ist das Internet zu einem existenzbedrohenden Problem geworden. Dennoch ist Computerspiele- oder Onlinesucht bislang als Krankheit nicht anerkannt. Mehr als eine halbe Million Deutsche gelten als internetsüchtig. Das besagt eine Studie im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler. Der Grat zwischen „normalen“ und „exzessivem“ Gebrauch ist schmal.

Was ist das eigentlich, Onlinesucht?

In seinem Ratgeber „Onlinesüchtig – Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige“ (Patmos) beschreibt Holger Feindel, wie man eine Onlinesucht von normalem Internetgebrauch abgrenzt: „Onlinesüchtig ist jemand, der die Kontrolle über seinen Mediengebrauch verloren hat.“ Wenn zu viel Zeit in Onlinewelten verbracht und darüber alle andere vernachlässigt werde. „Exzessive Onlinenutzung, die nicht mehr mit einem 'normalen Leben' vereinbar ist“, erklärt Feindel weiter. In Stunden der Nutzung gemessen heißt das: „30 bis 35 Stunden Mediengebrauch in der Woche halten Experten für nicht mehr mit einem 'normalen Leben' vereinbar. Das heißt: 30 bis 35 Stunden, die nichts mit Schule oder Beruf zu tun haben, es gehe allein um Freizeitaktivität im Internet.“ Beruflich im Internet verbrachte Zeit dürfe natürlich nicht mitgezählt werden.

Holger Feindel ist Psychotherapeut und Oberarzt an der psychosomatischen Fachklinik Münchwies. Sein Spezialgebiet ist die Behandlung von pathologischem PC- und Internetgebrauch. Er ist der gefragte Experte zum Thema Onlinesucht in den Medien.

Warum sich Angehörige mit der Sucht auseinandersetzen müssen? Feindel argumentiert: Von der Onlinesucht betroffen sind nicht nur die Süchtigen selbst, sondern auch das komplette im Umfeld: Familie und Freunde: „Angehörige leiden oft genauso unter der Onlinesucht wie die Betroffenen selbst. Sie wollen helfen, wissen aber nicht, wie, und stehen hilflos daneben. Ganze Familiensysteme werden belastet.“ Wie aber kann ein Angehöriger einen Onlinesüchtigen auf dem Weg zu einem gesunden Online-Verhalten unterstützten? Holger Feindel gibt zehn Tipps: 

1. Versuchen Sie, mit Ihrem Angehörigen über das ins Gespräch zu kommen, worüber er viel berichten kann: über seine Aktivitäten im Internet.

Und im Unterschied zu bisher, eben nicht von der problematisieren- den Seite, sondern ehrlich interessiert.

2. Zeigen Sie, dass sie verstehen wollen! 

Versuchen Sie mal, anders heranzugehen. Eben nicht von der verteufelnden Seite. Natürlich wird Ihr Angehöriger zumachen, wenn Sie seinem Hauptlebensinhalt mit Unverständnis und Ablehnung gegenübertreten. Wenn Sie nur die Schattenseiten sehen. Logische Argumente werden hier nur auf taube Ohren stoßen.

3. Interessieren Sie sich! 

Denn: Wenn Sie mitreden können, dann steigt die Chance, dass Sie auch kritisieren dürfen. Lassen Sie die ganzen Probleme und die Kritik für den Moment mal beiseite.

Wenn Sie es geschafft haben, mit Ihrem Angehörigen wieder ins Gespräch zu kommen, dann haben Sie schon viel geholfen. Denn dann haben Sie dafür gesorgt, dass er wieder einen Anker in der realen Welt hat. Und davon wird er einige brauchen, wenn er den Weg zurück schaffen soll. Wichtig ist es, Alternativen anzubieten. Sie werden einiges an Geduld aufbringen müssen, denn dass Ihr Angehöriger direkt beim ersten Angebot ruft: „Ja, super, natürlich gehe ich mit spazieren!“, ist unwahrscheinlich. Der Weg zurück ins reale Leben ist langwierig.

4. Eine schnelle Lösung gibt es meist nicht.

Sie werden Geduld und Ausdauer brauchen. Die Onlinesucht ist nicht über Nacht entstanden und so braucht auch der Ausstieg Zeit. Am wichtigsten für den Anfang ist es, wieder ins Gespräch zu kommen. Denn: Wie wollen Sie jemanden unterstützen,
der Ihnen nicht zuhört?

5. Druck rausnehmen  

Obwohl Onlinesüchtige bisher im realen Leben oft gescheitert sind, haben viele einen hohen Leistungsgedanken. Einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst, der aber teilweise dazu führt, dass sie im realen Leben erst gar nicht anfangen. Sie sollten so viel Rückendeckung vermitteln, dass Ihr Angehöriger weiß: Es handelt sich hier nicht um eine letzte Chance. Ich darf im Real Life auch scheitern, wenn ich jetzt versuche, dort wieder Fuß zu fassen. Aber der Versuch zählt, und ich habe Unterstützung dabei.

6. Druck erhöhen

Druck rausnehmen oder Druck machen? Gehen Sie trotzdem aktiv in den Konflikt und sprechen Sie das problematische Verhalten an. “Druck erhöhen“ meint: Machen Sie dem Betroffenen das Aufrechterhalten des Problemverhaltens nicht zu leicht. Man spricht in dem Zusammenhang auch manchmal von co-abhängigem Verhalten. Also ein Verhalten, das in bester Absicht zu helfen den falschen Weg unterstützt.

7. Nicht nur meckern, sondern handeln

Dabei sollten Sie den eigenen Standpunkt klar formulieren und insbesondere vermitteln, dass man immer dialogbereit ist, dass der Angehörige einem wichtig ist.

8. Lassen Sie die Tür immer offen! 

Bei aller vielleicht notwendigen Konsequenz, die ja unter Umständen so weit gehen kann, dass Sie sagen müssen: „Unter meinem Dach kann das so nicht weitergehen“, sollten Sie die Türe immer offen lassen. Vermitteln Sie immer, dass ihr Angehöriger Ihnen wichtig ist und dass Sie da sind, wenn er Ihre Hilfe braucht. Dass er wieder kommen darf, wenn es so weit ist. Dass Sie bei allem Konflikt und Streit immer da sein werden.

9. Seien Sie ehrlich! Sie sorgen sich, und das ist ihr gutes Recht.

Sie wissen nicht mehr weiter, also suchen Sie nach Hilfe. Das darf Ihr Angehöriger ruhig wissen, sie müssen das nicht vor ihm verstecken. Er sollte es sogar wissen. Denn natürlich geht es nicht nur darum, dass Sie Ihren Angehörigen besser verstehen. Dieser sollte auch mitbekommen, was in Ihnen vorgeht. 

10. Holen auch Sie sich Hilfe

Zu merken, dass man mit diesem Problem nicht alleine ist, kann schon sehr guttun. Tatsächlich scheint es in Deutschland mehr Selbsthilfegruppen für Angehörige Onlinesüchtiger zu geben als für Betroffene. Hier gibt es Möglichkeiten, sich auszutauschen, sich den
Frust einfach mal von der Seele zu reden. Und dabei Zuhörer zu haben, die wissen, wovon man redet. Die Ähnliches durchmachen oder durchgemacht haben.

Wie man so eine Selbsthilfegruppe findet? Die Antwort liegt auf der Hand. Eine Suchmaschine im Netz hilft! Suchtberatungsstellen haben oft auch professionell geleitete Angehörigengruppen. Auch Angehörigenberatung wird oft angeboten. Holen Sie sich mal einen Termin bei der nächstgelegenen Suchtberatungsstelle. Schaden kann es bestimmt nicht. Auch Erziehungsberatungsstellen können hilfreich sein, wenn Ihr Angehöriger noch minderjährig ist. Auch Paar- oder Familientherapien können in vielerlei Hinsicht unterstützen.

Holger Feindel: „Onlinesüchtig – Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige“ erscheint im Patmos Verlag. (spe)

































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