Wissen, das uns bewegt: Licht im Haus der Seele

Wissen, das uns bewegt Licht im Haus der Seele

Peter-André Alt über das große Interesse an der Psychologie

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12.04.15, 01:25

Wissen, das uns bewegt

Peter-André Alt über das große Interesse an der Psychologie

Im vergangenen Semester gingen an der Freien Universität 5250 Bewerbungen auf 106 Studienplätze in der Psychologie ein. Hätte man alle zugelassen, so würden allein die Erstsemester in dieser Disziplin gut 20 Prozent unserer Studierenden ausmachen. Woher rührt das enorme Interesse?

Viele, die sich um einen Studienplatz in der Psychologie bemühen, wollen später in die therapeutische Praxis gehen. Sie möchten seelisch in Not geratene Menschen unterstützen und mit Kranken arbeiten. Das ist ein klares Motiv, auch wenn sich dahinter unklare Vorstellungen über den Arbeitsalltag in psychiatrischen Einrichtungen, Hospitälern und Gefängnissen verbergen mögen. Dass junge Menschen helfen wollen, ist gut und ehrenwert. Aber der riesige Boom der Bewerbungen um das Psychologiestudium lässt sich damit noch nicht erklären.

Das Versprechen, das von der Psychologie ausgeht, ist das eines umfassenden Verstehens. Das Fach lehrt, seelische Krankheiten zu begreifen, das Leiden an Essstörungen oder Burnout zu erfassen, Prozesse der Persönlichkeitsveränderung zu beschreiben. Aber nicht nur die klinischen Fälle stehen im Blickfeld. Unsere gesamte Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, von einer psychologischen Perspektive aus auf ihre eigene Entwicklung, auf ihre Krisen und Katastrophen zu schauen.

Aggressionen und Konflikte, Interessenkollisionen und Bedürfnisse, Sehnsüchte und Fanatismen – das alles wird zum Gegenstand einer psychologischen Betrachtung. Die Frage nach den seelischen Ursachen, die hinter abweichendem Verhalten stehen, bewegt die Gesellschaft. Jeder maßt sich auf den Feldern seines Interesses psychologische Kompetenz an. Ob es um Erklärungen für die Niederlage eines Fußballvereins, die Gründe für eine Trennung im Freundeskreis, ob es um öffentliche Katastrophen oder politische Desaster geht – die Suche nach den psychischen Faktoren steht im Zentrum.

Wir sind keine Therapiegesellschaft, wie gern in Bestsellern behauptet wird. Wir sind eine psychologisierte Gesellschaft, in der man annimmt, man vermöge alle Konflikte durch eine Analyse seelischer Konstellationen zu erklären. Das kann ein Irrglauben sein, wenn man damit die Erwartung verbindet, das Irrationale lasse sich vernünftig begründen. Und es kann ein Risiko bedeuten, wenn die, die psychologische Diagnosen stellen, keine Experten, sondern Laien sind.

Daher ist das Interesse am Studienfach Psychologie durchaus positiv zu bewerten, weil es vielen die Chance gibt, ein wirklich profundes Wissen über das dunkle Haus der menschlichen Seele zu gewinnen. Wir dürfen nur nicht erwarten, dass wir irgendwann das Licht darin komplett einschalten können.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität. Er schreibt hier wöchentlich über Ideen, Erkenntnisse und Innovationen, die Berlin und die Welt voranbringen.

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