Wirtschaft: Auf der Suche nach Lösungen

Sonst wird man unzufrieden.“ Umstände, damit meint sie die meist schlechte Praktikumsvergütung während des Studiums, die hohen Ausbildungskosten danach und das lange Warten auf einen Kassenplatz.

Trotz dieser Umstände steigen die Zahlen derjenigen, die sich für das Fach Psychologie entscheiden. An der Humboldt-Universität (HU) und der Freien Universität Berlin (FU) sind derzeit insgesamt rund 1500 Studierende in Psychologie eingeschrieben. An der FU beendeten 2011 200 Psychologen erfolgreich ihr Studium, an der HU waren es im vergangenen Jahr 108. An der Universität Potsdam, wo Preuß studierte, sind derzeit fast 800 Studierende in Psychologie eingeschrieben, im vergangenen Jahr schlossen 124 das Studium ab, mehr als doppelt so viel wie 2007.

Psychologie ist nicht einfach Psychologie. Während des Studiums muss man ein Vertiefungsfach wählen, die Mehrheit entscheidet sich für den Bereich Klinische Psychologie, auch Patricia Preuß. Doch das Studium allein reicht nicht aus, um später als psychologischer Psychotherapeut arbeiten zu dürfen. Man braucht eine sogenannte Approbation, eine staatliche Zulassung, akademische Heilberufe wie Arzt, Zahnarzt oder eben psychologischer Psychotherapeut ausüben zu dürfen. Wer Psychotherapeut werden möchte, muss nach dem Studium eine Ausbildung machen, drei Jahre Vollzeit oder fünf Jahre Teilzeit. „Wenn man im klinischen Bereich arbeiten möchte, gibt es keine Alternative“, sagt Preuß. „Dann muss man so eine Therapeutenausbildung machen.“

Nach dem Studium bekam Patricia Preuß direkt einen Ausbildungsplatz am Institut für Verhaltenstherapie (IVB) in Berlin. Es gibt verschiedene Institute, die diese Ausbildung anbieten, die meisten verlangen rund 20 000 Euro. Fredi Lang vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) sagt, dass er bei den Kosten keine großen Differenzen sehe. Interessenten sollten sich jedoch vorab informieren, wie es sich mit Kosten und Einnahmen verhält. „Von den 81 Euro, die ein Institut für eine Therapiesitzung erhält, geben die einen 60 Euro weiter, die anderen nur 40 Euro.“ In der Regel seien größere Institute günstiger als kleinere. Preuß bekommt 40 Euro pro Behandlungsstunde. Die Ausbildung am IVB kostet 21 250 Euro, so steht es auf der Webseite des Instituts. „Die ersten anderthalb Jahre sind die schwierigsten“, sagt Preuß. „Da hat man keine Einnahmen.“ Denn erst gegen Ende, in der praktischen Ausbildung, sind die Therapiesitzungen mit den Patienten. 600 Stunden muss Preuß mindestens machen, damit wird sie 24 000 Euro einnehmen. Ein Plus von 2750 Euro – für drei Jahre. Um die Ausbildung finanzieren zu können, ließ sich Preuß ihren Sparvertrag auszahlen. Für Miete und Lebensunterhalt hatte sie zeitweise drei Nebenjobs, ihr Mann unterstützte sie finanziell.

In Deutschland gibt es derzeit rund 21 600 niedergelassene Therapeuten, die pro Quartal rund eine Million Patienten behandeln. Die Nachfrage ist jedoch wesentlich höher. In Berlin kommen 62 Psychotherapeuten auf 100 000 Einwohner, das Verhältnis ist – im Vergleich – sogar gut. Im Havelland etwa gibt es nur neun Therapeuten für die gleiche Anzahl an Einwohnern. Wie kommt das? 1999 legte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen Berechnungsschlüssel vor, der angibt, wie viele psychotherapeutische Praxen es in Deutschland geben darf. Bei den Bedarfszahlen wurden, anders als bei den Ärzten, auch die Niederlassungen in Ostdeutschland berücksichtigt. Dort gab es, aufgrund der anderen Struktur des DDR-Gesundheitssystems, viel weniger niedergelassene Psychotherapeuten. Die Ergebnisse seien daher grob falsch, sagt Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. „Real betrachtet liegen wir überall über den vom G-BA berechneten Bedarfszahlen.“

Ende Dezember hat der G-BA eine neue Bedarfsplanungs-Richtlinie beschlossen, 1350 Praxen sollen vor allem auf dem Land dazu kommen. Insgesamt wären es dann 15 150 Praxen. Aus Sicht der Bundespsychotherapeutenkammer ist das keine Lösung: „Das sind noch immer viel zu wenig Sitze“, sagt Richter. Die psychotherapeutische Versorgung drohe sich sogar noch zu verschlechtern. „Wenn ein Psychotherapeut in den Ruhestand geht und seine Praxis aufgibt, ist nicht gesichert, dass der Kassensitz erhalten bleibt“, sagt er. Statt zusätzliche Praxen zu schaffen, könne ab 2013 die Anzahl der Psychotherapeuten in Deutschland um 6000 sinken.

Während über die Zahl der zugelassenen Kassensitze gestritten wird, müssen psychisch Kranke, die eine Therapie machen wollen, warten – im Durchschnitt drei Monate auf ein erstes Gespräch. „Die Patienten leiden darunter“, sagt Preuß. „Sie rufen bei mehreren Therapeuten an, überall wird ihnen gesagt, dass man ihnen zurzeit leider keinen Therapieplatz anbieten könne. Sie sollten es doch woanders versuchen. Manche Patienten haben dazu nicht die Kraft.“Zu viele Patienten – und zu viele Psychotherapeuten ohne Kassensitz. Die Situation ist verzwickt. „Vor zwei Jahren gab es vereinzelt freie Psychotherapeutensitze“, sagt Fredi Lang vom BDP, „aber inzwischen sind alle besetzt.“ In Berlin seien die Sitze schon lange dicht.

Das Durchschnittsalter der praktizierenden Psychotherapeuten liegt bei 53 Jahren, bald werden viele von ihnen in den Ruhestand gehen. „Die guten Jahre kommen jetzt“, sagt Lang. Doch 2020 werde sich, schätzt er, die Gesamtfluktuation wieder eingependelt haben. Wenn die Kassensitze nicht vorher schon gestrichen werden.

Jetzt, im März, hat Preuß ihre Abschlussprüfungen. Sobald sie ihre Approbation hat, wird sie sich sofort auf die Warteliste setzen lassen. Drei Jahre wird sie warten müssen, schätzt sie. „Ich habe gehört, dass man in Berlin ungefähr drei Jahre lang warten muss“, sagt sie. Bekommt man irgendwann einen der begehrten Kassensitze, muss man wieder investieren, um dem Vorgänger die Praxis abzukaufen. „Das bewegt sich so um die 60 000 Euro“, sagt Preuß. Doch anders als bei ärztlichen Praxen, wo man medizinische Geräte und Patientenstamm oft mit übernimmt, kauft man bei einer psychotherapeutischen Praxis nur die Berechtigung, mit der Krankenkasse abrechnen zu können.

Solange Preuß auf der Warteliste steht, könnte sie sich vorstellen, in einer Ambulanz zu arbeiten. Oder sich einen Raum in einer Gemeinschaftspraxis zu mieten und eine Privatpraxis aufzubauen. Therapeuten in Privatpraxen rechnen über das sogenannte Kostenerstattungsverfahren ab. „Seit die Krankenkassen mehr Geld haben, läuft die Kostenerstattung besser“, sagt Fredi Lang. Privatpraxis, Ambulanz, Warteliste – Gibt es Alternativen? „Nein“, sagt Preuß. „Wer die psychotherapeutische Ausbildung gemacht hat, wird danach nicht den Job wechseln.“ Dafür habe man schon zu viel investiert.

Leave a Reply