«Wir brauchen ein neues Bild der Grossmutter»

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Von Mirjam Comtesse.

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Grosseltern seien vor allem für Jugendliche sehr wichtig, sagt die Berner Generationenforscherin Pasqualina Perrig. Sie plädiert deshalb dafür, dass auch die Grosseltern bei Scheidungen ein Besuchsrecht erhalten.

Die Berner Generationenforscherin Pasqualina Perrig sagt, die Grossmutter von  heute sei nicht mehr das liebe Omi, das keine Ansprüche hat, sondern stehe mitten im Leben.

Die Berner Generationenforscherin Pasqualina Perrig sagt, die Grossmutter von heute sei nicht mehr das liebe Omi, das keine Ansprüche hat, sondern stehe mitten im Leben.
Bild: Urs Baumann

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Generationeneforscherin

Pasqualina Perrig-Chiello empfängt uns in ihrem Büro im Institut für Psychologie an der Unitobler. Die gebürtige Italienerin spricht breiten Walliser Dialekt. Im Wallis ist sie aufgewachsen. Studiert hat die heute 58-Jährige an der Universität Freiburg, wo sie mit einem Doktorat in Entwicklungspsychologie abschloss. Nach Aufenthalten
in den USA und in Deutschland beendete sie an der Universität Bern ihre Habilitation. Seit 2003 ist sie hier Honorarprofessorin mit Schwerpunkt Entwicklungspsychologie der Lebensspanne und familiale Generationenbeziehungen. Pasqualina Perrig hatte Lehraufträge an verschiedenen Universitäten, so etwa in Lissabon, Frankfurt am Main, Saarbrücken, Freiburg und Basel.

Von 2003 bis 2008 leitete die Professorin das Nationale Forschungsprogramm zu Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen in der Schweiz. Daraus entstand in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Altersforscher François Höpflinger und dem Neuenburger Soziologen Christian Suter der oft zitierte «Generationenbericht Schweiz».

Pasqualina Perrig ist mit dem Psychologieprofessor Walter
Perrig verheiratet, der ebenfalls an der Uni Bern lehrt. Gemeinsam haben sie zwei Söhne im Alter von 30 und 32 Jahren.

Frau Perrig, kennen Sie Ihr Forschungsgebiet, die Beziehungen zwischen den Generationen, auch aus eigener Erfahrung? Haben Sie Grosskinder?
Pasqualina Perrig: Leider nicht. Vom Alter her könnte ich zwar Grossmutter sein, aber meine beiden erwachsenen Söhne haben noch keine Kinder. Raten Sie mal, wie alt eine Frau in der Schweiz beim ersten Enkelkind im Durchschnitt ist.

Vielleicht 62?
Sie müssen zehn Jahre abziehen.

52? Das ist erstaunlich jung.
Das liegt daran, dass die heutige Grosselterngeneration früher heiratete und früher Kinder bekam als Paare heute. Das Alter wird sich in den nächsten Jahren kontinuierlich nach oben verschieben.

Machen Sie wie so viele andere Eltern Druck, damit Sie bald Grossmutter werden?
Ich stecke im selben Dilemma wie viele Frauen in meinem Alter: Sie sind extrem eingespannt, haben einen Beruf, pflegen vielleicht sogar die eigenen Eltern, haben einen Partner, Kinder – und nun kommen noch Grosskinder dazu. Wir reden zunehmend nicht nur von einem Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Familie in jungen Jahren, sondern auch bei Frauen zwischen 50 und 65. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich kann schlecht Druck ausüben, da ich gar keine Zeit für Enkel hätte.

Trotz dieser Engpässe: Sehr viele Grosseltern helfen bei der Kinderbetreuung mit. Der Aufwand beträgt rund 100 Millionen Stunden pro Jahr.
Und diese Zahl, die wir im «Generationenbericht Schweiz» präsentiert haben, ist nur eine konservative Schätzung. Zu 80 Prozent sind es die Grossmütter, die diese Arbeit leisten. Sie tun dies einerseits, weil es ihnen Freude macht. Andererseits ist ihr Einsatz eine Notwendigkeit. Unsere Forschungen zeigten auf, dass in der Schweiz rund 50'000 Betreuungsplätze für Kleinkinder fehlen. Grosseltern haben deshalb einen enormen ökonomischen Wert.

Solange die Grosseltern einspringen, braucht es doch gar nicht mehr Plätze in Kindertagesstätten.
Das ist eine äusserst gefährliche Argumentation. Bisher haben die Grossmütter den Spagat zwischen den verschiedenen Anforderungen an sie gemeistert. Aber die Solidarität zwischen den Generationen darf nicht nur eine private Angelegenheit sein. Kinder sind die Zukunft unseres Landes, da müssen alle schauen, dass die Rahmenbedingungen für sie stimmen. Zudem haben nicht alle Eltern die Möglichkeit, auf die Grosseltern zurückzugreifen.

Wie war das früher bei Ihnen, als Ihre Kinder noch klein waren? Haben die Grosseltern geholfen?
Sie waren im Wallis, wir in Basel. Die Distanz war also zu gross für regelmässige Einsätze. Aber sie sprangen ein, wenn sie konnten.

Sie sagen im Prinzip, die Grosseltern in der Schweiz engagieren sich nicht nur aus Spass, sondern auch aus moralischem Druck?
Aus Solidarität. Im öffentlichen Diskurs wird nur vom Transfer von den Jungen zu den Alten gesprochen. Dabei investiert die ältere Generation auch Zeit und Geld in die jungen Familien. Davon redet niemand.

Warum?
Meine Hypothese lautet: weil es vor allem Frauen sind, die diese Arbeit leisten. Ihr familiärer Einsatz wird als selbstverständlich betrachtet. Wenn alle diese Frauen eines Tages streiken würden, hätten wir ein enormes wirtschaftliches Problem.

Die Idee eine Streiks hatte ja das Projekt «Grossmütterrevolution», das sie unterstützen. Was ist das Ziel?
Die modernen Grossmütter wollen, dass ihre Leistung anerkannt wird. Und es braucht ein neues Bild der Grossmutter. Sie ist nicht mehr das liebe Omi, das keine Ansprüche hat, Güezi backt und lismet. Heutige Grossmütter nehmen sich neben ihrer Arbeit bewusst Zeit für ihre Enkel, und sie haben etwas zu sagen in dieser Gesellschaft.

Müssten sie einen Lohn erhalten?
Nein, das würde zu weit führen. Die meisten wären damit wohl gar nicht einverstanden.

Sie sprechen von der gesellschaftlichen Anerkennung. Genügt denn die Anerkennung in der eigenen Familie nicht?
Die Familien spiegeln die veränderte Gesellschaft: Der Grossvater galt im 17./18.Jahrhundert noch als ein strenger Lehrmeister. Mit der späteren Idealisierung der Familie wurde er plötzlich der liebe Alte hinter der Ofenbank, der Geschichten erzählt. Auch die Grossmutter wurde idealisiert, dadurch aber verharmlost und entmachtet. Heute sollen Grosseltern eine Dienstleistung bei der Kinderbetreuung erbringen, aber möglichst wenig dreinreden.

Funktioniert das?
Grosseltern intervenieren automatisch. Nur schon indem sie eine Haltung haben und Vorbilder sind. In unseren Arbeiten sahen wir, dass sie häufig komplementär erziehen: Wenn die Eltern allzu streng sind, versuchen sie auszugleichen – und umgekehrt. Indirekt haben die Grossmütter einen grossen Einfluss, weil die Frauen in der Familie die informelle Macht ausüben. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn sich die Eltern scheiden lassen. Die Kinder werden höchstwahrscheinlich viel mehr Zeit mit den Grosseltern mütterlicherseits verbringen.

Aus diesem Grund wird teilweise analog zum Besuchsrecht des Vaters ein Besuchsrecht der Grosseltern gefordert. Wie stehen Sie dazu?
Alle Untersuchungen zeigen, dass Grosseltern sehr wichtig sind. Als Grund dafür geben Kinder und Jugendliche an, dass sie «da seien». Sie haben also Zeit und hören zu – mehr als die Eltern. Wenn die Eltern nun nach einer Scheidung den Kindern die Grosseltern der einen Seite vorenthalten, müssen sie sich fragen, was sie ihren Kindern damit antun. Gemäss einer englischen Studie sind Grossmutter und Grossvater bei einer Scheidung die ersten Ansprechpersonen für Jugendliche – noch vor den Freunden. Ich finde es deshalb wichtig, dass Grosseltern und Kinder – auch nach einer Scheidung ihrer Eltern – zusammen sein können.

Haben Grosseltern und Enkel heute eine engere Beziehung als früher?
Ja. Die ältere Generation ist gesünder und fitter. Die Grosseltern können deshalb viel mehr mit ihren Enkeln unternehmen. Sie sind auch besser ausgebildet und haben finanziell mehr Möglichkeiten. Das prägt die Beziehungen.

Und wo gibt es Konflikte zwischen Grosseltern und Enkeln?
Schwierigkeiten tauchen in der Regel erst bei jugendlichen Grosskindern auf. Sie akzeptieren nicht, wenn die Grosseltern über allzu Persönliches wie Sexualität und Beziehungen Bescheid wissen oder sich gar einmischen möchten. Zwischen Enkeln und Grosseltern herrscht eine sogenannte Intimität auf Distanz.

Die Beziehung zwischen Eltern und Grosseltern ist wahrscheinlich schwieriger.
Ja, aber die Forschungsergebnisse zeigen, dass die grossen ideologischen Grabenkämpfe wie vor dreissig, vierzig Jahren heute kaum noch vorkommen. Die Generationenkonflikte in den Familien nehmen eher ab, weil die Weltanschauungen zusammenrücken.

Was können Grosseltern tun, um Konflikte zu vermeiden?
Sie sollten einsehen, dass ihre Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen müssen. Eingreifen dürfen sie nur im Notfall. Etwa wenn sie merken, dass das Enkelkind vernachlässigt wird. Aber beim Erziehungsstil sollten sie sich zurücknehmen. Den müssen die Eltern für sich selbst finden. Gleichzeitig dürfen die Grossmütter sich treu bleiben – und dem Enkel mal Schokolade geben, auch wenn die Schwiegertochter dagegen ist.

Sie erwähnen praktisch nur die Grossmütter. Was ist mit den Grossvätern?
Sie wirken vor allem im Hintergrund: Sorgen für die Action, reden mit den Enkeln über die neusten technischen Geräte. Windeln wechseln sie eher selten. Ich glaube jedoch, dass sich dies ändern wird, weil sich auch die Väter immer mehr in der Erziehung engagieren.

Sie haben den «Generationenbericht Schweiz» herausgegeben. Welches sind die überraschendsten Erkenntnisse?
Dass die Generationensolidarität von oben nach unten wie auch von unten nach oben funktioniert. Auch innerhalb der Familien verstehen sich die Leute eher besser als früher. In meiner Generation flüchteten viele Kinder noch vor der elterlichen Autorität, indem sie möglichst früh auszogen. Heute bleiben sie lange daheim und lösen sich nicht im Konflikt ab. Deshalb haben auch die Grosseltern einen näheren Zugang.

Wenn man in den Zeitungen von all den Familiendramen liest, hat man nicht den Eindruck, dass die Familien so harmonisch sind.
Die negativen Schlagzeilen vermitteln ein falsches Bild. Festgestellt haben wir allerdings, dass die Beziehungen besser funktionieren, wo Ressourcen – finanzielle und soziale – vorhanden sind. Wenn die Grosseltern ihren Kindern und Enkeln ein Vermögen vererben können, kittet das nun mal die Generationen zusammen. Ebenfalls weniger Konflikte gibt es in gebildeten Familien.

Was genau verändern denn Geld und Bildung?
Geld und Bildung sind keine Garantie für gute familiale Beziehungen. Aber Armut und schwacher Bildungshintergrund sind zumeist mit grossem Stress verbunden, was häufig Negativspiralen auslöst. Oft fehlen Strategien, um Konflikte konstruktiv zu lösen. Leidtragende sind die Kinder, die schlechtere Startchancen haben: Deshalb bin ich dafür, dass alle Kinder früh in bezahlbare Kitas mit gut ausgebildetem Personal gehen können.

Dies ist der letzte Teil unser dreiteiligen Serie. Die anderen Teile finden Sie bei den Artikeln zum Thema. (Berner Zeitung)

Erstellt: 20.02.2012, 09:55 Uhr


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