"Wir arbeiten hier wirklich für ‘n Appel und’n Ei"

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15. November 2012

Freiburger Psychotherapeuten in Ausbildung beteiligten sich an einem bundesweiten Streik gegen geringe Bezahlung.


  1. Ausgebeutet fühlen sich diese zwei „Psychologen in Ausbildung“, die lieber anonym bleiben wollen. Darum waren sie gestern mit dabei beim Protest. Foto: Ingo Schneider

Dass bei einem Streik Flugblätter und Infomaterial verteilt werden, ist normal. Am Mittwoch aber konnten Passanten auf der Freiburger Hauptstraße zusätzlich einen Apfel oder ein Ei aus zwei großen Körben fischen. "Wir arbeiten eineinhalb Jahre lang für einen Apfel und ein Ei", wollen die streikenden Psychotherapeuten in Ausbildung (Pia) damit ausdrücken. "Psychotherapeut in Ausbeutung" haben sie deshalb auf Poster gedruckt.

Wer Psychologie studiert hat, kann damit noch nicht als Therapeut arbeiten. Dazu ist zusätzlich eine drei bis fünf Jahre dauernde Ausbildung nötig. Die ersten eineinhalb Jahre davon arbeiten die "Pias" rund 30 Stunden pro Woche in einer therapeutischen Einrichtung, dazu kommen Theoriestunden. Für ihre Arbeit, die oft eine Teilzeitstelle ersetzt, bekommen sie aber keinen oder nur wenig Lohn – das Universitätsklinikum Freiburg etwa bezahlt seit Oktober dieses Jahres 500 Euro pro Monat, zuvor waren es 400. "Wir haben ein abgeschlossenes Studium, aber wir verdienen nur so viel, wie man auch locker in jedem Studentenjob verdient", sagt eine der Streikenden.

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Sabine Hermann ist zwar bereits approbierte Psychotherapeutin, setzt sich als Vorstandsmitglied des Berufsverbandes aber trotzdem für eine Veränderung dieser Situation ein. "Meine Kollegen sind nicht einmal sozialversichert", sagt sie. Die Krankenversicherung müssen sie selbst tragen, oft bekommen sie nicht einmal den Ausbildungstarif. "Und weil sie keine Studenten mehr sind, gibt es auch kein Bafög. Sie fallen durch alle sozialen Maschen." Manche ziehen wieder bei den Eltern ein und werden von ihnen unterstützt, manche jobben nebenbei, eine hat es bei der Arbeitsagentur probiert. "Aber die wissen gar nicht, was sie mit uns tun sollen." Nicht jeder kann sich nach dem Studium weitere eineinhalb Jahre ohne Lohn leisten. Die Streikenden wehren sich deshalb ausdrücklich auch gegen die soziale Auslese. Auch Mathias Berger, ärztlicher Direktor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Freiburg, würde gerne mehr als 500 Euro zahlen, kann es aber nicht. Das Problem sei die Klassifizierung als Ausbildung statt als postgraduierte Weiterbildung, sagt er. Dann könnten die Psychotherapeuten in Ausbildung nach Tarif bezahlt werden. "Im Moment bekommen wir als Klinik aber von den Kassen kein Geld für sie", erklärt Berger.

Das zu ändern ist Sache der Politik. Gestern übergaben andere "Pia"-Streikende in Berlin deswegen eine Petition mit 9000 Unterschriften an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Sein Versprechen, das Problem noch in dieser Legislaturperiode anzugehen, hat er bisher nämlich nicht eingehalten.

Autor: Veronika Widmann

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