Wilder Mann

An der Komischen Oper Berlin fehlt der Teufel. In Calixto ­Bieitos Inszenierung von Carl Maria von Webers »Der Freischütz« hat die Dramaturgie auf ihn verzichtet. Die Sprechrolle von Samiel, dem »schwarzen Jäger«, der seinem weltlichen Kollegen Max (Vincent Wolfsteiner) in der Nacht vor seiner Hochzeit, die satanisch treffsicheren »Freikugeln« gewährt, ist gestrichen, aber nicht völlig ersatzlos: Teufel sind wir uns selbst genug.

Der größte Teil des bukolischen Geraunes, das sich im von Friedrich Kind verfaßten Libretto für die 1821 uraufgeführte deutsch-romantischste aller deutsch-romantischen Opern als Dialog ausgibt, ist ebenfalls gestrichen. Im Prinzip sehr verdienstvoll, dafür stellenweise dem Verständnis der Handlung nicht unbedingt förderlich, aber die ist ja ein berüchtigter Schulstoff.

Wie so oft spielt die Inszenierung vor allem mit der Abweichung von dem, was sich im Hinterkopf als erledigt und bekannt abgelagert hat. Der Freischütz bekommt eine neue (heikle) Balance. Er wird, so der neue ironische Untertitel, zum »psychologischen Thriller«. Psychologie gibt es aber glücklicherweise nicht viel. Dafür kannibalistische Schlachtrituale, Sexualmorde, Schnapsflaschen und ein Bühnenbild (Rebecca Ringst) aus beweglichen Baumstämmen, silbergrau »filmisch« ausgeleuchtet (Licht Franck Evin). Und eine Horde außer Kontrolle geratener Frauen, die im Schweinchenkostüm den Junggesellinnenabschied von Max’ Braut Agathe (Ina Kringelborn) offensichtlich mit einigen Gläschen zuviel gefeiert haben. Noch während der Ouvertüre grast auf der Bühne ein zwar lebendiges, aber lethargisch zahmes Wildschwein. Der Anblick süßer Tierchen wird von jedem Publikum – egal, ob Oper, Theater oder Film – ja meist sehr dankbar aufgenommen; ein sicheres Zeichen seiner Infantilität.

Mutatis mutandis wird aus dem Schwein eine Frau im Pelz, die von dem barbarischen, mit Spielzeuggewehren herumfuchtelnden paramilitärischen Chor des Jagdvolkes erlegt, ausgeweidet und als Metzelsuppe unter der Gemeinde verteilt wird. Es herrscht beste Laune. Nur der erfolglose Jäger und hoffnungslos verschossene Max wird als impotenter Versager verspottet. Hier kann nur noch der Teufelspakt helfen. Der Tagesspiegel (31.1.) hatte schon recht, die Freikugeln sind »eine Art romantisches Viagra«. Und von Slavoj Zizek weiß man ja, daß das Medikament Viagra gleichsam nichts anderes als der Teufelpakt der spätkapitalistischen Spaßgesellschaft zur Abschaffung der Potenz als solcher ist (»Der Mann, der dank Viagra befähigt wird zu kopulieren, ist ein Mann mit Penis, aber ohne Phallus«, aus: »Die Tücke des Subjekts«).

Die Psychoanalyse sagt ja, daß die Kastrationsangst weit davon entfernt ist, so etwas zu sein wie einfach nur eine psychologische Blockade unter »Leistungsdruck«, sondern gerade die Bedingung, daß die Chose funktioniert. Ohne Schwindel wird die Sache trostlos.

Um Kastrationsangst geht es in Bieitos »Freischütz« zweifelsohne, allerdings ein wenig unterkomplex. Die symbolische Viagraverabreichung in der berühmten Wolfsschluchtszene inszeniert Bieito als einen satanistischen Ritualmord an einem entführten Brautpaar (gleichsam das Spiegelbild des Paares Max–Agathe). Max’ diabolischer Jägerkollege Kaspar (Carsten Sabrowski) gibt die Anweisungen, Max regrediert dabei zu einer Art »wildem Mann«, nackt und schlammbedeckt, letzte Ausflucht des Schwindels.

Der Chor aus Miliz und lustigen Frauen in Schweinekostümen steht für eine (protofaschistische Gemeinschaft), in der die Überschreitung (von der Promiskuität bis zum Kannibalismus) bereits die eingeforderte Normalität ist. Ein obszönes Über-Ich, das hohnlachend verlangt: Sei hedonistisch und pervers. Max wäre demnach eher ein Märtyrer, der diesem Befehl einsam und verängstigt nicht nachkommen möchte. In der schönsten Szene liegt er dann auch an Agathes Schoß und breitet nackt seine Arme über einen Baumstamm als wäre dieses Stück deutscher Wald sein Kreuz und sie seine Maria Magdalena. Das geht dann in der zum allgemeinen Gemetzel veränderten Schlußszene genauso unter wie die überkommen versöhnliche Mahnung des alten Eremiten (eindrucksvoll Alexey Tihomirov), fürderhin auf archaische Rituale zu verzichten.

Die Sänger wirken dabei oft ziemlich abgelenkt, so als seien sie mehr damit beschäftigt, ihre Rolle im nicht immer konsequenten Konzept zu suchen, als ihre Partien zu singen. Eine Ausnahme ist Carsten Sabrowski als ein sehr kraftvoller Kaspar. Orchester (Leitung Patrick Lange) und Chor sind allerdings phantastisch. Allein das Klangbild kann an diesem Abend das romantisch Unheimliche, das Angstbesetzte im »Freischütz«, auf das Hans Mayer und Theodor W. Adorno deutlich hingewiesen haben, transparent machen. Sehr transparent. Bieitos Konzept des humoresken Thrillers ist hingegen auf Irritation aus, irritiert dann aber mehr die Leute auf der Bühne als das tierliebende Publikum, das bei der Premiere am Sonntag trotzdem ein wenig gebuht hat. Geschenkt.

Nächste Vorstellungen: 4., 7., 21. und 24.2.

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