Wie verändert das Auto unsere Wahrnehmung?

Am Lenkrad unterschätzen Menschen systematisch Distanzen. Zu diesem Ergebnis kam eine psychologische Studie der Universität Trier.


Lauthals zur Musik im Radio singen, in der Nase bohren oder wild auf den Vordermann schimpfen: Im geschützten Raum des eigenen Pkw ist so einiges möglich, was ansonsten auf der Straße zu einigermaßen verdutzten Blicken führen würde. Und so mutiert manchmal auch der angepasst freundliche Familienvater zum wilden Raser und Drängler. Doch verändert das Auto auch unsere Wahrnehmung der Welt? Psychologen der Universität Trier gingen dieser Frage nun nach.

Größerer Aktionsradius durch Autos

Grundlegend für ihre Untersuchung war der Gedanke, dass ein Auto als eine Art „Werkzeug“ angesehen werden kann, das unseren Aktionsradius maßgeblich beeinflusst – und damit möglicherweise unsere Einschätzung von Distanzen. In einem Experiment ließen die Forscher ihre Probanden nun Entfernungen zwischen vier und 20 Metern einschätzen – und zwar in der Rolle eines Autofahrers oder eines Fußgängers.

Autofahrer „kurzsichtig“

Während Fußgänger die Distanzen im Versuch durchschnittlich um knapp 24 Prozent unterschätzten, verfehlten Autofahrer die richtigen Werte um mehr als 40 Prozent. Aus 20 Metern würden entsprechend am Lenkrad „gefühlte“ 12 Meter. Eine Fahrt mit dem Auto verschärfte diesen Effekt zusätzlich: Nach einer zehnminütigen Fahrt schätzten die Autofahrer Entfernungen noch kürzer ein als zuvor. Hingegen hatte ein zehnminütiger Rundgang bei den Fußgängern keine Auswirkung auf die Distanz-Wahrnehmung.

Das im Fahrzeug eingeschränkte Sichtfeld war für den beobachteten Effekt nicht verantwortlich: Diese Annahme schlossen die Wissenschaftler durch eine Kontrollgruppe von Fußgängern aus, die durch eine cockpitartige Holzkonstruktion auf das Distanz-Messfeld blickte.

Quelle potenzieller Abstimmungsprobleme

Die systematische Fehleinschätzung von Distanzen könnte auf der Straße die positive Folge haben, dass der Abstand zum nächsten Fahrzeug bei dichtem Verkehr tatsächlich größer ist als der Fahrer annimmt. Andererseits erhöht sich potenziell auch das Risiko, die Distanz zu einer gelben Ampel zu unterschätzen und bei Rot auf die Kreuzung zu fahren. Eine weitere Gefahr droht, wenn die Strecke für einen Überholvorgang zu kurz eingeschätzt wird. Generell sei, so die Forscher, die unterschiedliche Distanz-Wahrnehmung von Autofahrern und Fußgängern eine mögliche Quelle von Abstimmungsproblemen im Straßenverkehr.

Literatur

Moeller, B., Zoppke, H. Frings, C. (2015). What a car does to your perception: Distance evaluations differ from within and outside of a car [Abstract]. Psychonomic Bulletin Review, 1-8.

5. November 2015
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft
Symbolfoto: © Annika Strupkus

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