Wie es anders sein könnte

Peter Brückner (1922–1982) war in der alten BRD nichts Geringeres als ein Staatsfeind. 1977 wurde er von der Universität Hannover als Professor für Psychologie suspendiert, weil er sich im Unterschied zu seinen akademischen Kollegen im Rahmen der »Mescalero-Affäre« nicht von der Dokumentation eines kritischen Nachrufs auf den von der RAF erschossenen Generalbundesanwalt Siegfried Buback distanzieren wollte, der an der Universität Göttingen großen Wirbel verursacht hatte. Erst 1981 wurden die Disziplinarmaßnahmen gegen Brückner aufgehoben.

Im Zuge dessen hatte Brückner an vielen bundesdeutschen Universitäten Hausverbot, das notfalls, wie in Heidelberg, mit einem Massenaufgebot an Polizei durchgesetzt wurde. 1100 Mann gegen einen einzelnen radikalen Linken, der schließlich auf dem Marktplatz zu den Studenten sprach. Eine absurde Demonstration von Macht, den Beteiligten ist sie bis heute unvergessen. Was für eine Angst muß der Staat vor diesem Mann gehabt haben! Daß kaum noch jemand seinen Namen kennt, verwundert nicht unbedingt, ist das Vergessenmachen doch ein probates Mittel der Mächtigen, sich ihrer Widersacher wenigstens posthum zu entledigen. Dagegen hilft: Erinnern und Weiterdenken; und eben dies hatte sich die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) vorgenommen, als sie Anfang März in Berlin ihre Jahrestagung unter dem Titel »Sozialpsychologie des Kapitalismus heute; zur Aktualität Peter Brückners« veranstaltete. In mehr als 20 Vorträgen und Diskussionen wurde die Rolle der Psychologie bei der Herstellung staatskonformer Politikformen hinterfragt und versucht, die Haltung Peter Brückners am Beispiel aktueller Fragen für die Gegenwart produktiv zu machen.

Während er als Theoretiker der Neuen Linken in den 1960er Jahren zu erfassen suchte, wie die »Loyalität der Mehrheit« mit den Herrschenden gebrochen werden kann, befindet sich die Linke vierzig Jahre später allerdings derart in der Defensive, daß die Überwindung des Systems eigentlich kaum jemand mehr zu denken wagt. So provozierte auf der Konferenz das Eröffnungsreferat von Gernot Böhme über »ästhetischen Kapitalismus«, in dem er den Konsum als ökonomisch wie psychologisch systemstabilisierend beschrieb – auch wenn Linke die Stärkung der Massenkaufkraft als Ausweg aus der Finanzkrise propagieren.

Der Vortrag von Klaus-Jürgen Bruder, erster Vorsitzender der NGfP, der schon früher gemeinsam mit seiner Frau Almuth Bruder-Bezzel eine kenntnisreiche Studie zu Person und Werk Peter Brückners veröffentlicht hatte, ließ die Frage quälend offen, wer denn wohl heute in der Lage wäre, aus den Erkenntnissen Peter Brückners zur Massenloyalität politische Schlußfolgerungen abzuleiten. »Man muß eine Idee haben, wie es anders sein könnte«, beschrieb Timo Werkhofer in Anlehnung an Sartre das Problem von linker Theorie und Praxis heute.

Für viele stammte der stärkste Beitrag des Kongresses vom Soziologen Martin Kronauer. Dabei standen seine Überlegungen zur sozialen Integration als Kategorie der Gesellschaftsanalyse scheinbar im Widerspruch zu Brückner, für den soziale Integration negativ konnotiert war, als Unterwerfung unter die Regeln der Herrschaft, als ein Anpassungsprozeß, der aufzubrechen sei. Revolutionäres Potential erkannte Brückner nur in der Desintegration. Wie Kronauer die historischen Erscheinungsformen sozialer Integration analysierte und dabei die die Dialektik von Affirmation und Subversion deutlich machte, nämlich, daß sich Fragestellungen und Bewertungen mit der Veränderung der Gesellschaft entwickeln müssen, war ein analytisches Lehrstück der Sozialwissenschaft.

Sehr inspirierend war auch der Vortrag von Christoph Jünke über »Peter Brückners Versuch, uns und anderen die neue Linke zu erklären«. Allein schon aufgrund der Tatsache, daß er im Unterschied zu vielen Älteren im Saal Brückner nicht mehr persönlich erlebt hat, kam er zu anderen Fragestellungen als viele Anwesende. Doch gerade darin lag das Hoffnungsvolle dieser Konferenz, an der sich auch viele junge Studierende beteiligten. In der U-Bahn am Abend guckte Brückners »Sozialpsychologie des Kapitalismus« aus ihren Taschen. Sollen sie doch selbst entscheiden, was ihnen daraus wichtig ist.

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