Weshalb Frauen häufiger weinen

Ad Vingerhouts hat sich ein Forschungsgebiet ausgesucht, das herzerwärmender nicht sein könnte: Er studiert als ­klinischer Psychologe seit zwanzig Jahren das Weinen. Vingerhouts ist sozusagen der Heulexperte schlechthin und hat vor zwei Jahren sogar ein Buch über diese urmenschliche Regung herausgegeben: «Why Only Humans Weep».

Weshalb Menschen weinen, ist schon lange Gegenstand von Untersuchungen; Charles Darwin etwa konnte sich darauf keinen Reim machen. Er vermutete, dass sich die Tränenflüssigkeit einfach irgendwann einen Weg nach aussen suchen müsse.

Heute weiss man es immer noch nicht so genau. Vingerhoets zumindest ist überzeugt, es habe mit der vergleichsweise langen Kindheit des Menschen zu tun: Das Weinen dient als Warnung. ­Weshalb wir aber auch als Erwachsene weiterhin Tränen vergiessen, ist ungeklärt. Klar ist nur, dass Kinder eher aus Schmerz oder Furcht heulen, Erwachsene vor allem aus Empathie. Und dass Frauen es häufiger tun als Männer. Die Gleichberechtigung hat daran nichts ­geändert – in Schweden, dem emanzipatorischen Vorzeigeland schlechthin, weinen die Frauen gemäss Studien europaweit am meisten. Überhaupt wird in Ländern, in denen es den Menschen gut geht, mehr geweint. Das hat vermutlich damit zu tun, dass man sich in freien Gesellschaften seiner Gefühle nicht schämen muss.

Es wirken die Hormone

Weshalb aber weinen Frauen häufiger? Nebst der Sozialisation hat es sehr konkrete Gründe: Frauen sind, etwa durch Berufe im Pflegebereich, häufiger mit emotionalen Situationen konfrontiert als Männer, die eher in technischen ­Berufen arbeiten. Gleichzeitig wirken die Hormone: Kinder beiderlei Geschlechts weinen nämlich ungefähr gleich viel. Erst nach der Pubertät verändert sich das Verhalten – das weib­liche Prolaktin wirkt als Tränenbeschleuniger, während das männliche Testosteron eine Tränen hemmende Wirkung entfaltet. Das lässt sich bei Männern mit Prostatakrebs nachweisen: Wegen der Testosteron senkenden Medikamente weinen sie deutlich häufiger als früher.

Der neuste Erklärungsversuch ist ­allerdings viel banaler. Man hat herausgefunden, dass Männer schlicht und einfach grössere Tränenkanäle haben – es dauert also viel länger, bis diese überlaufen können, sozusagen. (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 14.01.2015, 18:45 Uhr)

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