Wer ist schuld an Krebs?

„Warum ich?“ ist oft die erste Frage nach der Diagnose Krebs. Die Schuldfrage und die Psyche waren Themen eines runden Tisches in der OÖNachrichten-Redaktion. Mit dabei: Christine Schatz, Obfrau des Vereins „Zellkern“ und Gynäkologin in Enns und am LKH Steyr, Primar Michael Fridrik, Chef der Onkologie im AKH Linz, und Christian Zniva, Leiter des Instituts für klinische Psychologie, Barmherzige Schwestern Linz.




OÖN: Die Diagnose Krebs stürzt Betroffene in eine psychische Ausnahmesituation. Meist kommt sofort die Frage: „Was habe ich in meinem bisherigen Leben falsch gemacht?“ Ist die Frage berechtigt?

Zniva: Das ist der verständliche Versuch, etwas scheinbar Unfassbares erklärbar zu machen, auch wenn es immer problematisch ist, die Schuld bei sich, in seinem Verhalten oder im familiären Umfeld zu suchen. Trotzdem ist es sinnvoll, zuzuhören, welche Gründe der Patient für sich selbst angibt, das kann für uns Psychologen ein Ansatz für eine Therapie sein.

Schatz: Die Frage nach dem Warum führt meist sehr schnell zur Biografie des Patienten. Die Vergangenheit spielt natürlich eine Rolle, weil man in dieser Situation mit seiner Endlichkeit konfrontiert wird.

Fridrik: Unmittelbar nach der Diagnose fragt jeder nach dem Warum, aber bei Krebs gibt es nicht eine einzige Ursache, sondern viele Faktoren, die zusammentreffen müssen. Ausgenommen Lungenkrebs, der ist meist auf das Rauchen zurückzuführen. Man darf aber keineswegs dem Patienten das Gefühl geben, er sei schuld.

OÖN: Wie gehen Angehörige mit der Diagnose Krebs um?

Fridrik: Die haben oft das viel größere Problem damit, weil sie nicht handeln können. Während der Patient mit Therapien beschäftigt ist, bleibt ihnen nur die Rolle des Zuschauers.

Zniva: Das Angebot einer psychologischen Betreuung nehmen Angehörige im Krankenhaus nur selten in Anspruch. Sie wollen nicht zeigen, dass auch sie belastet sind, und haben Angst, den Patienten damit zu überfordern,

Schatz: Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass auch Angehörige ihre Angst und Wut über die Krankheit ausdrücken dürfen. Vor allem Kinder spüren ohnehin schnell, wenn etwas nicht stimmt. Ihnen etwas vorzuspielen, bringt nichts.

Fridrik: Der Umgang mit Kindern ist generell heikel. Da gibt es Väter, die sagen zu ihren Kindern, sie sollen gute Noten schreiben, damit die Mama bald wieder gesund wird. Wenn das Kind dann doch einen Fünfer heimbringt, ist die Katastrophe fertig – und das Kind entwickelt ganz sicher schreckliche Schuldgefühle.

OÖN: Welche Rolle spielt die Psyche ganz generell bei einer Krebserkrankung?

Fridrik: Die Psyche spielt bei Krebs eine große Rolle. Es geht darum, wie man mit der Erkrankung zurechtkommt. Sie ist also wichtig beim Gesundwerden. Das wurde früher eher vernachlässigt. Die psychische Situation hat also sehr wohl Einfluss darauf, wie man sich fühlt, wie viel Lebensqualität man hat. Bei der Entstehung und als Auslöser von Krebs spielt die Psyche mit hoher Wahrscheinlichkeit aber keine Rolle.
Zniva: Man muss aber als Patient nicht krampfhaft versuchen, ständig gut drauf zu sein. Das hilft einem nicht weiter. Im Gegenteil, positives Denken kann auch zum Terror werden, es macht in vielen Fällen mehr Stress, als es gut tut.
Schatz: Negative Gefühle wie Wut, Trauer und Sarkasmus sind ganz normal und sollen auch ausgelebt werden. Wenn ein Patient zu mir kommt und sagt: „Am liebsten würd’ ich laut schreien“, dann rate ich ihm: „Tun Sie’s doch bitte!“

OÖN: Viele Menschen assoziieren Krebs unwillkürlich mit dem Tod. Das stimmt doch längst nicht mehr, oder?

Fridrik: Die Statistik besagt eindeutig: Der größte Teil der Krebspatienten wird wieder völlig gesund.
Schatz: Ob Menschen Krebs mit einem Todesurteil gleichsetzen, hängt oft mit persönlichen Erfahrungen zusammen. Wer in der Familie oder im Bekanntenkreis jemanden durch die Krankheit verloren hat, hat eine sehr negative Einstellung zum Thema Krebs. Wer jemanden kennt, der geheilt wurde, sieht das viel positiver.

OÖN: Amalgam, Deos, Elektrosmog, Stress – Jahr für Jahr werden neue mögliche Ursachen für Krebs „entdeckt“, die sich meist später als falsch herausstellen. Warum ist Krebs mit so vielen Ängsten verbunden.

Zniva: Bei Krebs überkommt die Menschen eine diffuse Angst und Hilflosigkeit, weil wir noch immer nicht wirklich wissen, wie und warum er entsteht. Daher halten sich viele an Mythen, weil sie Erklärungen liefern.
Fridrik: Wie sind eben eine Gesellschaft, die einfache Antworten sucht. Aber mir fällt auf, dass die Leute nicht mehr ganz so panisch reagieren. Das Vertrauen in die Medizin und in die Krebstherapien ist größer geworden. Zu Recht.

OÖN: Wie soll man mit diesen diffusen Ängsten umgehen?

Schatz: Die Grundregel in der Medizin lautet: Wenn jemand Ängste hat, und seien sie noch so skurril, muss man sie ernst nehmen. Denn der Patient hat nur zwei Erwartungen: Erstens will er geheilt und zweitens ernst genommen werden.

OÖN: Gibt’s Möglichkeiten, sich aktiv vor Krebs zu schützen?

Fridrik: Nicht rauchen, nicht rauchen, nicht rauchen! Dann kommt lange nichts, und dann kommt Ausdauersport. Das ist natürlich kein hundertprozentiger Schutz. Es gibt aber viele Untersuchungen, die eine positive Wirkung belegen. Ausdauersport erhöht zudem die Heilungschancen.

Schatz: ... und ausgewogene Ernährung. Ich rate meinen Patienten immer, sie sollen essen, was ihnen schmeckt. Obst und Gemüse sind natürlich wichtig, Krebsdiäten kann ich nicht empfehlen. Es gibt keine Wunder-Krebsdiät.
Zniva: Außerdem macht es für jeden Menschen Sinn, sich immer wieder mit seiner persönlichen Situation auseinanderzusetzen und sich zu überlegen, wie man sein Leben eigentlich gestalten will.
Fridrik: Eine Krebserkrankung ist eine Zäsur im Leben. Das sage ich meinen Patienten und rate ihnen, über Verbesserungen nachzudenken. Das muss aber jeder selbst machen.

 

Wie beugen Sie vor?

Christine Schatz, Gynäkologin und psychosoziale Beraterin beim Verein „Zellkern“: „Als eine Bekannte kürzlich die Diagnose Brustkrebs erhielt, war ich trotz meiner langen beruflichen Erfahrung ziemlich geschockt. Das hat mich veranlasst, meinen Lebensstil zu überdenken. Ich gebe dem Spaß mehr Platz in meinem Leben, bewege mich mehr und habe beschlossen, meine Kraft nur noch für sinnstiftende Aktivitäten einzusetzen.“

Christian Zniva, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz:
„Ich betreibe ein wenig Sport, aber das fällt für mich nicht unter den Titel Krebsprävention. In meiner Arbeit sehe ich, wie schnell sich das Leben komplett ändern kann. Ich versuche deshalb auf mich zu schauen, ich möchte nicht erst nach einer Krebsdiagnose damit anfangen, das zu tun, was mir wichtig ist.“

Michael Fridrik, Primar der onkologischen Abteilung im Allgemeinen Krankenhaus Linz: „Ich mache viel für meine Gesundheit, ernähre mich gesund und betreibe sehr viel Ausdauersport. Ich hebe mir nichts für spätere Jahre auf. Ich habe mein Leben so eingerichtet, dass ich jeden Tag zusperren könnte. Was mir wichtig ist, mache ich sofort. Und ich arbeite viel und vor allem extrem gerne.“
 

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