Wenn Frauen nach dem Sex weinen – Tages

Es gibt merkwürdige Gemütszustände. Manche Frauen verfallen zum Beispiel nach dem Sex in eine tiefe Traurigkeit. Die Frauen sagen, sie wissen nicht, was mit ihnen geschieht. Es habe nichts damit zu tun, wie der Sex gewesen sei. Manche Frauen fühlten sich reizbar oder angespannt. Einige brechen in Tränen aus.

Die Sache ist merkwürdig, weil beim Sex, wenn man freiwillig mitmacht und alles gut läuft, im Körper eigentlich Hormone und Neurotransmitter ausgeschüttet werden, die die Stimmung heben. Für viele merkwürdige Gemütszustände haben Psychologen längst einen Begriff.

Man glaubt, an einer ganz individuellen Sache zu leiden, aber es gibt längst Studien, die das Gegenteil belegen. Wenn man selbst das erste Mal nach dem Sex losheulen muss, muntert es einen vielleicht auf zu hören, dass man nicht die Einzige ist, die an «postkoitaler Dysphorie» leidet. An einer emotionalen Verstörung nach dem Beischlaf. Auch bei Männern soll es das geben.

Die Studie, die zu diesem Gemütszustand gerade erschienen ist, hat ihn aber an Frauen untersucht. Psychologen aus der Schweiz und Australien befragten 231 Studentinnen. Die Antworten der Frauen, die auch oder nur mit Frauen schliefen, nahmen die Forscher aber nicht in die Auswertung auf. Sie begründen das damit, dass sich in der Forschung gezeigt habe, dass Frauen beim Sex mit Frauen ganz andere Erfahrungen machten.

Zwei Prozent berichten von Missbrauchserfahrung

Es blieben 195 Studentinnen übrig, die nur mit Männern schliefen, das mittlere Alter der Frauen lag bei 26 Jahren. 46 Prozent von ihnen sagten, dass sie schon mindestens einmal nach dem Sex in Tränen ausgebrochen oder tieftraurig gewesen seien, ohne dass sie gewusst hätten, warum.

Fünf Prozent der Frauen sagten, dass ihnen das in den letzten vier Wochen passiert sei. Zwei Prozent der Frauen sagten, es sei eigentlich immer so, nach dem Sex kommt die Traurigkeit.

Die Psychologen wollten wissen, in welchem seelischen Zustand sich die Frauen sonst befanden, und stellten ihnen viele weitere Fragen. Die Frauen, die nach dem Sex regelmässig traurig wurden, hatten sonst nicht mehr oder weniger Schwierigkeiten mit ihrem aktuellen Sexleben als die anderen Frauen. Allerdings hatten sie in der Vergangenheit häufiger eine Art von Missbrauch erlebt. Eine solche Erfahrung sei der grösste Risikofaktor, schreiben die Forscher.

Probleme, sich nach dem Sex vom Partner zu lösen

Die Wissenschaftler stellten einen Zusammenhang zum Bindungsverhalten der Frauen fest. Frauen, die Schwierigkeiten hatten, sich in engen Beziehungen von anderen abzugrenzen, waren häufiger nach dem Sex verstört.

Frauen, «die eine Tendenz dazu haben, mit anderen zu verschmelzen», und zwar im psychologischen Sinne, könnten Probleme damit haben, sich nach dem Sex von ihrem Partner zu lösen. Man schläft miteinander, dann ist es vorbei, man liegt neben dem anderen, geht vielleicht ins Bad, es könnte sich «wie eine Trennung vom Partner anfühlen, überwältigend».

Es wird weiter geforscht. Mal sehen, welche Gemüts- oder Gewissenszustände die Wissenschaft noch entdeckt.

© «Die Welt» (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 13.10.2015, 11:33 Uhr)

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