Wenn die Zahnprothese zuschnappt!

Von Psychologie aktuell Redakteurin Vera Wagner.

Eine Zahnprothese? „Ich bin zu jung dafür!", schrie alles in mir auf, als mein Zahnarzt mir diese Aussicht eröffnete. Dies sei die letzte Chance, einen „traumatisierten" Backenzahn zu retten. Eine Teilprothese? Plastik im Mund? Vor mir tauchten schreckliche Bilder auf.

Schauer des Grauens!

Erinnerungen an die Zeit, als ich noch alle Zähne im Mund hatte und wir bei meiner Freundin Sibille Party feierten. Irgendwann musste ich auf die Toilette. Da stand ein Glas auf der Spiegelkonsole, darin ein Gebiss mit rosa Plastikgaumen, daneben eine Packung Prothesenreiniger. Das Gebiss von Sibilles Mutter. Kalte Schauer krochen über meinen Rücken.

Auf gar keinen Fall so ein Ding!

Nein, so was werde ich niemals brauchen, schwor ich mir. Bei meinem Großvater machte es bei jedem Wort „klack", weil die dritten Zähne nicht richtig passten. Das waren zwar die 1970er, aber ist es heute wirklich besser? „Es ist die einzige Chance", wiederholt mein Zahnarzt mit eindringlicher Stimme und schaute mir sreng in die Augen.

„In Ordnung", antwortete ich resigniert. Schließlich ist jeder gerettete eigene Zahn besser als Ersatz.

(Foto: Ennelise/Pixabay/CC0)
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Dritte Zähne bei jungen Patienten - Hilfe oder Horror?

Albträume von Zähnen und Plastik!

Nachts träume ich von Prothesen. Jede Nacht. Davon, dass die Prothese bei leidenschaftlichen Küssen herausfällt. Davon, dass ich damit nicht essen kann. Dass Babybrei meine Zukunft für einige Monate ist?

Denn so lange dauert der Versuch, meinen "gestressten" Zahn zu retten. Er wackelt. Er tut weh. Er hatte wegen einer falschen Zahnersatz-Konstruktion zu viel Belastung. Über Jahre hinweg. Das verdanke ich einem anderen Zahnarzt. Das ist eine andere Geschichte. Dich gerne vergessen möchte. Meinem neuen Zahnarzt vertraue ich.

Der Tag der Wahrheit?

Dann kommt der Tag der Wahrheit. Als dieses hässliche rosa Teil mit zwei Drähten eingesetzt wird, möchte ich vom Stuhl springen. Oder meinem Zahnarzt ins Gesicht. Wie kann er mir bloß so was zumuten? Meine Zunge irrt durch den Mund, Plastik in der vorderen Gaumenhälfte.

Nein, es macht nicht „klack" wie damals bei meinem Großvater, aber ich lispele „Das geht gar nicht!" „Sie müssen das Sprechen üben", sagt mein Zahnarzt. „In zwei Tagen geht es schon viel besser".

Was sagt die Traumdeutung zum Symbol "Zahn"?

In der psychologischen Traumdeutung werden Zähne mit aggressiven Impulsen, Macht und Stärke im sozialen Austausch assoziiert. Fallen die Zähne aus, dann weist dies auf einen innerseelischen Vorgang hin, der als Verlust von Energie und manchmal auch von Potenz erlebt wird.

Es gibt somit auch eine Nähe zu sexuellen Aspekten in der Traumdeutung von Zähnen. Manchmal deuten Zahnträume auch auf Schuldgefühle in der Liebe hin. Wenn Träumende ihre Zähne verlieren, dann interpretiert die spirituelle Traumdeutung dies als einen Energieverlust.

Sprechen üben? Als berufliche Sprecherin?

Sprechen üben? Ich spreche am Mikrophon. Täglich. Das ist mein Job. Was werden die Hörer denken? Was, wenn sie es merken? Frau Wagner lispelt! Nein, das geht gar nicht.

Was passiert dann mit meinem Job? Am Anfang nehme ich klammheimlich das Zahnspangendöschen mit ins Aufnahmestudio und ziehe die Prothese aus, wenn ich spreche. Eines Tages kommt ein Studiogast zu früh, ich trage das Ding noch.

Überspiele elegant. „Kleinen Moment, bin gleich bei ihnen." Gehe an den Schreibtisch, reiße mir die Prothese aus dem Mund, geleite den Interviewpartner mit strahlendem Lächeln ins Studio. Nach dem Interview bin ich schweißgebadet.

Zischen, lispeln und brodeln!

All das ist anstrengend. Schrecklich anstrengend. Doch ich höre immer ein Zischen, wenn ich spreche. Die anderen beteuern, sie hören nichts. Betrügt mich mein inneres Ohr? „Es ist Ihr Überanspruch, Ihr Perfektionismus", sagt mein Psychologe.

„Selbst wenn es zu hören ist: Vielleicht mögen die Hörer ja dieses niedliche leise Lispeln von Frau Wagner. Machen Sie sich locker!"

Ich mache mich locker. Auch am Mikrophon. Während der Aufnahme höre ich mich zischen. Als ich meine eigene Aufnahme anhöre, höre ich... tatsächlich nichts. Es ist also ein eingebildetes Lispeln. Allmählich entspanne ich mich. Und vergesse immer öfter diesen Fremdkörper in meinem Mund.

Und dann die Liebe!

Wenn mein Liebster mich leidenschaftlich küsst, vergesse ich es sowieso. Dann denke ich nicht, dann fühle ich. „Ich liebe Dich so wie Du bist", sagt er. „Mit Zahnlücke oder mit Prothese. Das ist mir völlig egal.

Solange Du von innen leuchtest, liebe ich Dich." Er küsst mich erneut, und alles ist gut. Zwei Wochen später. Mein Zahnarzt kontrolliert den Risiko-Kandidaten. „Er wackelt schon viel weniger", sagt er triumphierend. „Wir schaffen das".

Am Ende bleibt nur die Akzeptanz!

„Ich schaffe das", denke ich, und beginne meine Prothese akzeptieren. Wenn ich sie abends rausnehme, beim Zähneputzen, sperre ich meinen Liebsten nicht mehr aus dem Badezimmer aus. Wer ist schon perfekt? Es ist ein Übergang. Ein Provisorium. Eine Rettung!

Inzwischen höre ich mein eingebildetes Lispeln nur noch, wenn ich überanstrengt, im Stress oder unter Zeitdruck bin. Bin ich in der Balance, nehme ich die Prothese kaum noch wahr. Sie gehört zu mir. Bis ich sie nicht mehr brauche. Auf diesen Tag freue ich mich!

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