Was wiederkehrende Träume bedeuten

Wieder steht sie vor der Abi-Matheprüfung, wieder weiß sie: Sie wird sie nicht bestehen. Zu groß ist ihr Wissensrückstand, der sich seit Wochen auftürmt. Sie hat keine Chance. Dann schreckt Karin Töllen* aus dem Traum. Das Abitur hat die 32-jährige PR-Fachfrau seit 14 Jahren in der Tasche. Trotzdem wacht sie mehrmals im Monat schweißgebadet aus dem Prüfungstraum auf.

Doch warum träumen wir immer wieder das Gleiche - und was hat das zu bedeuten? Für Sigmund Freud war der Traum ein Königsweg zum Unbewussten, für Neurowissenschaftler lange nicht mehr als ein sinnloses Neuronengewitter. Der Prüfungstraum gehört zu den "typischen Träumen", so nennen Traumforscher Wiederholungsträume, die mit geringer inhaltlicher Abweichung stabil auftreten.

Weitere Klassiker unseres Kopfkinos sind das Verfolgtwerden, Zuspätkommen, Nacktsein oder der Tod nahestehender Personen. Traumforscher auf der ganzen Welt beobachten sie über Alter, Nationalität, Geschlecht und Kultur hinweg. In Amerika oder Japan träumen Menschen ähnliche Dinge wie in Deutschland.

Antonia Zadra und Tore Nielsen sind Traumforscher an der Universität Montreal. Sie erweiterten Ende der neunziger Jahre den "Typical Dream Questionnaire", der bereits in den fünfziger Jahren entwickelt wurde, zu einem Fragebogen mit 55 Traumthemen. Die Forscher staunten bei mehreren Durchgängen über die erstaunlich stabilen Platzierungen auf der Liste der Top-Träume: Verfolgtwerden war mit 81,5 Prozent Spitzenreiter, Prüfungen, Lehrer und Schule beschäftigten 72,4 Prozent der Schläfer. Doch bedeuten die Träume ähnliches?

Grundmuster in Traumklassikern

Michael Schredl arbeitet am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim, er ist Leiter des Schlaflabors und Deutschlands führender Traumforscher. Er interviewt Menschen zu Traumthemen und erforscht die nächtliche Aktivität des Gehirns: "In typischen Träumen geht es um Grundthemen des Wachlebens, die bei fast allen Menschen in der einen oder anderen Form vorkommen", sagt er. "Die Bebilderung ist individuell, aber ein Grundmuster zu erkennen." An Symbole glaubt er dabei nicht. Also etwa, dass eine schwarze Katze für etwas Bestimmtes steht.

Beim Prüfungstraum etwa, so Schredl, gehe es um den Gedanken: "Ich fühle mich schlecht oder gar nicht auf eine Situation vorbereitet." Der Traum greife auf erlebte Situationen wie das Abitur zurück, um die Kognition einzukleiden. Dabei müsse die schlechte Vorbereitung nicht der Realität entsprechen. Der Traum drücke die Angst aus, eine Leistung oder Anforderung nicht erbringen zu können.

Helfen die Träume bei der Verarbeitung von Problemen? Laut Schredl ist unklar, ob das bereits während des Träumens geschieht. Sicher sei aber, dass die Reflektion auf den Traum hilft. Angst, sagt Schredl, "wird umso unangenehmer, je mehr ich ihr ausweiche. Auch bei Träumen muss ich meiner Angst ins Auge schauen."

Menschen mit höherem Bildungsgrad träumten häufiger von Prüfungen, erzählt Schredl, möglicherweise weil Leistung auch in ihrem Wachleben eine große Rolle spiele. Bemerkenswerterweise träumten jene Menschen von Prüfungen, die nie durch welche gerasselt seien.

Die Suche nach einer Toilette

Schredl hat viele tausend Träume gesammelt, auch die eigenen. Nicht selten berichteten Träumer von der Suche nach einer Toilette, doch entweder sei diese besetzt, kaputt, stark verschmutzt oder nicht zu finden: "Ein einfacher Traum", sagt Schredl. Bebildert werde das Motiv: "Ich habe ein Bedürfnis, das durch die aktuellen Umstände erschwert wird. Um welches Bedürfnis es geht, ist natürlich individuell."

Typische Träume können für das Wachleben Impulse geben. Wer über sie nachdenkt, kann Hinweise finden. Beispiel vernachlässigte Haustiere: Seit langer Zeit hat man vergessen, ihnen Futter zu geben. Schredls Anstoß: "Was vernachlässige ich aus Kindertagen? Ist etwas Liebes, für das ich Verantwortung trage, zu kurz gekommen?"

Beispiel Verfolgung, das auch in deutschen Betten der Traum Nummer eins ist. In vielen Fällen, so Schredl, sei folgendes Muster am Werk: "Ich habe Angst vor etwas, das ich nicht konfrontiere." Beim Traum über den Tod nahestehender Menschen beschäftige die Betroffenen oft die Angst, wie sie ohne diese durchs Leben gehen würden.

Zu typischen Träumen gehören auch Fall- und Flugträume. Schredl hat in einer Studie herausgefunden, dass Fallträume von Menschen geträumt werden, die ängstlicher sind, zu depressiven Stimmungen neigen - und auch auffallend oft ein Instrument spielen. Flugträume haben demnach eher einen Zusammenhang mit positiven Stimmungen und Erfolgsphantasien.

Und die PR-Frau Katrin Töllen? Ihr ständig wiederkehrender Prüfungstraum war für sie ein Alptraum. In einer Verhaltenstherapie stellte sie sich dem Gedanken einer schlecht vorbereiteten Prüfung. Unter Anleitung eines Therapeuten schrieb sie den Traum als "Traumregisseurin" um und verpasste ihm ein neues Ende. Seit einem halben Jahr musste sie nachts nicht mehr antreten.

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