Was Operationsteams von Piloten gelernt haben – Tages

Pilot Hans Härting ist oft in Spitälern anzutreffen. Der Österreicher ist bei den Austrian Airlines für die Pilotenselektion zuständig und trainiert ausserdem Spitalteams in Sicherheitsfragen. Wenn es um die Patientensicherheit geht, dient in vielen Fällen das ausgeklügelte Sicherheitssystem der Luftfahrt den Spitälern als Vorbild. «Jede Airline muss in die Sicherheit investieren», sagt Härting. Im Gesundheitswesen trifft der Pilot oft andere Bedingungen an: «Bemühungen zur Patientensicherheit hängen von der Initiative einzelner Ärzte und Spitäler sowie deren Budget ab.»

Die Stiftung Patientensicherheit Schweiz hat soeben ein zweijähriges Projekt zur Anwendung einer Checkliste im Operationssaal abgeschlossen. Härting hatte beratend zur Seite gestanden. Während das Abarbeiten von Checklisten im Cockpit eines Flugzeugs zum Standard gehört, ist deren Gebrauch für einige Spitäler noch ungewohnt. Immer mehr Fachleute nehmen aber die dreiteilige chirurgische Liste zur Hand, welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Verfügung stellt.

Sie hat zum Ziel, die Komplikationsraten zu senken. Patientensicherheit Schweiz zog Anfang Juli vor den Medien eine positive Bilanz und erwähnte dabei auch konkrete Fallbeispiele. So habe in einem Fall rechtzeitig verhindert werden können, dass einem Patienten mit einer Nickelallergie ein Implantat mit Nickel eingesetzt wurde. Dank dem konsequenten Abarbeiten der Checkliste war die Allergie kurz vor dem Eingriff zur Sprache gekommen.

Steile Hierarchie

Gemäss Checkliste müssen sich vor einer Operation alle Teammitglieder mit Namen und Funktion vorstellen. Was auf den ersten Blick als Schikane empfunden werden mag, hat laut WHO unter anderem folgenden Grund: Wer sich zu Beginn laut vorstelle, werde sich während der Operation eher zu äussern wagen und auf eine kritische Situation hinweisen. An der Medienkonferenz der Stiftung Patientensicherheit berichteten Spitalvertreter Ähnliches: Während dieser Vorstellungsrunde werde die Hierarchie abgeflacht und alle Teammitglieder begegneten sich eher auf Augenhöhe, hiess es.

Für Härting ist dies ein wichtiger Punkt. Noch sei die Hierarchie in den Spitälern zu steil ausgeprägt, was ein Sicherheitsrisiko darstellen könne. Im Flugverkehr sei das anders: «Für uns Piloten ist es völlig klar, dass sich der rangniedrigere Co-Pilot melden muss, wenn seiner Meinung nach etwas nicht stimmt.» Das sei nicht gleichbedeutend mit Führungslosigkeit, betont Härting, und er weist auch darauf hin, dass mit steigendem Zeitdruck durch Notsituationen das Mitspracherecht abnehmen müsse. Solche Abläufe und Situationen gelte es deshalb zu trainieren.


Die Stiftung Patientensicherheit Schweiz stellt die
angepasste WHO-Checkliste Spitälern zur Verfügung (klicken zum Vergrössern).

Klar strukturierte Prozesse

Hans Härting setzt auf standardisierte Prozesse und eine strukturierte Teamarbeit dafür, Sicherheitsrisiken zu vermindern. In beiden Bereichen ortet er Handlungsbedarf. «Wenn ich als Pilot die Abläufe in Spitälern beobachte, staune ich oft, dass nicht mehr Fehler passieren und wie viel richtig gemacht wird», sagt er. Im Flugverkehr sind Prozesse viel strenger strukturiert. Das ist für das Personal auch eine Entlastung. «In der Flugbranche ist jedem klar: Ich als Mensch bin grundsätzlich unzuverlässig. Deshalb brauche ich Unterstützung und Überprüfung», sagt Härting.

Im Spital halte dieses Denken erst langsam Einzug, noch zu oft setze man auf die Verantwortung einzelner Personen. Dies gelte auch für die Weiterbildung: Während Piloten regelmässig Kontrollen und Gesundheitschecks durchlaufen sowie eine Mindestanzahl Flugstunden absolvieren müssen, sei dies in der Medizin viel weniger strikt geregelt, so Härting.

«Medizin ist komplexer»

Der Pilot, der in Wien gemeinsam mit einem Arzt die Firma Assekurisk, ein Beratungsunternehmen für Sicherheitsaspekte, führt, weist aber auch auf wesentliche Unterschiede zwischen Flug- und Patientensicherheit hin. «Die Medizin ist komplexer als die Luftfahrt.» Auf einen Flug verzichte man, wenn es gefährlich werde. «Die Notaufnahme eines Spitals hingegen muss jederzeit handlungsbereit sein», so Härting.

Die Medizin lasse nicht dieselbe strukturierte Planung zu wie die Luftfahrt, «denn ein Patient kommt nie standardisiert in den Notfall». Sie benötige deshalb mehr Handlungsspielraum und mehr Freiheit, als die hohen Sicherheitsstandards im Flugverkehr zuliessen. (Berner Zeitung)

(Erstellt: 21.07.2015, 11:10 Uhr)

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