Warum Schlaf so wichtig ist

Ein 30-Jähriger hat in seinem Leben rund 11,82 Jahre seines Lebens verschlafen. Verlorene Zeit? Von wegen. Doch warum ist Schlaf so wichtig? Das verrät die Würzburger Professorin für Psychologie Andrea Kübler anlässlich des Weltschlaftages und erklärt die Bedeutung des Schlafes für den Menschen und die Gesellschaft.

Frage: Ist Schlafen in einer Leistungsgesellschaft noch legitim?

Andrea Kübler: Ja, Schlaf ist in einer Leistungsgesellschaft wie der unseren sogar essenziell. Man verbringt die Zeit ja nicht nur mit Schlaf, sondern der Schlaf bereitet den Menschen darauf vor, dass er am nächsten Tag wieder optimal funktionieren kann. Außerdem lernt der Mensch im Schlaf. Dass was man tagsüber gelernt hat, verfestigt sich dann im Gehirn.

Schlafen ist also keine Zeitverschwendung?

Kübler: Nein, im Gegenteil. Das Gehirn arbeitet besser, wenn man es zwischenzeitlich ruhen lässt. Nicht umsonst gibt es den Ausdruck „über etwas schlafen“. Es wurde nachgewiesen, dass Menschen Probleme besser und kreativer lösen, wenn sie darüber schlafen.

Sind wir alle chronisch übermüdet?

Kübler: Ja. Die Menschen generell schlafen zu wenig und das gilt auch schon für Jugendliche.

Was für Folgen hat das für die Gesellschaft?

Kübler: Generell kann man sagen, dass unsere Leistungsgesellschaft vermutlich leistungsfähiger wäre, wenn wir alle ausgeschlafen wären. Außerdem hätten wir dann wohl auch mehr Geduld miteinander und würden nicht immer gleich aus der Haut fahren. Nicht zuletzt wären wir wohl alle etwas gesünder.

Gibt es Länder, in denen „besser“ geschlafen wird als in Deutschland?

Kübler: In den mediterranen Ländern beispielsweise gibt es eine Siesta. Sie wirkt sich zwar nicht direkt auf den Nachtschlaf aus, entspricht aber der Natur des Menschen. In der Wissenschaft geht man davon aus, dass auch wenn der Mensch wach ist, im Hintergrund ein ähnlicher Aktivitätsrhythmus wie im Schlaf beibehalten wird. Im Klartext bedeutet das, wir haben Hochs und Tiefs. Zwischen zwölf und 15 Uhr fallen Menschen in eine „Tiefschlafphase“. Ihr Stoffwechsel sinkt und sie sollten eigentlich schlafen.

Wie viel Schlaf braucht der Mensch?

Kübler: Die Schlafzeiten sind sehr individuell. Es gibt eine Bandbreite zwischen vier und zehn Stunden. Wenn es darüber hinausgeht oder darunter bleibt, sollte man das überprüfen lassen. Beispielsweise sollte der Hormonhaushalt untersucht oder es muss hinterfragt werden, ob derjenige von großen Sorgen belastet wird.

Welche Folgen kann Schlafmangel haben?

Kübler: Zum einen leidet die Aufmerksamkeit und zum anderen wirkt er sich auch auf die Physiologie aus. Bestimmte Stoffwechselprozesse laufen nur im Schlaf ab. Zum Beispiel scheiden junge Menschen in den ersten vier Stunden des Tiefschlafes Wachstumshormone aus. Schlafmangel kann zu psychischen Störungen wie Depressionen führen. Letztendlich kann er dazu führen, dass man zu Medikamenten greift. Doch das bringt keine Verbesserung des Schlafes, sondern führt meist in einen negativen Kreislauf und manchmal sogar in die Sucht.

Wie lang kann ein Mensch ohne Schlaf aushalten?

Kübler: Bereits nach zwei Nächten fängt der Mensch an zu halluzinieren. Da geht das Gehirn automatisch in den Schlaf, in dem wir träumen. Nach zwei Nächten kommt der Punkt, an dem der Mensch nicht mehr wach bleiben kann.

Weniger Leistung, Depressions- und Suchtgefahr – warum schlafen wir angesichts all dieser negativen Konsequenzen nicht einfach mehr?

Kübler: Der Tag ist vollgepackt – Beruf, Familie, Kinder, Freizeitangebote. Die Möglichkeiten, die man hat, sind sehr viel größer als vor 50 Jahren. Ebenso wird im Beruf erwartet, dass ein Mensch sehr viel schneller reagiert, beispielsweise auf E-Mails antwortet. Unsere Zeit ist sehr viel schneller geworden und man muss sehr viel mehr selbstregulatorisch tun, um nicht völlig unterzugehen.

Mit welchen Strukturen könnten wir dem Schlafmangel entgegenwirken?

Kübler: Es liegt an jedem Einzelnen selbst, sein Verhalten schlafförderlich auszurichten. Man muss einen Blick auf seine eigene Schlafhygiene werfen und sich fragen, was sollte ich vor dem Schlafen tun und was lieber lassen? Dazu gehört der Verzicht auf fettiges Essen ebenso wie keine aufwühlenden Krimis vor dem Schlafen zu schauen.

Und zum anderen?

Kübler: Zum anderen wäre es sinnvoll, wenn man sein Leben auf den Chronotyp ausrichtet. Es gibt Menschen, die sehr gut morgens beziehungsweise abends funktionieren. Die können jedoch nicht immer den Beruf entsprechend ihres Chronotyps wählen. Daher wären flexiblere Arbeitszeiten eine Möglichkeit. Auch die Anfangszeiten der Schule sollten etwas nach hinten verschoben werden. Ich denke, für die Leistungsfähigkeit von jugendlichen Schülern wäre dies besser.

Spekulieren wir einmal in die Zukunft. Könnte es sein, dass Menschen dank medizinischer Aufputschmittel künftig gar nicht mehr schlafen müssen?

Kübler: Nein. Die Eigenregulation des Körpers müssten sie vollständig von außen hinführen. Ich weiß nicht, wie das funktionieren sollte. Ich weiß aber auch nicht, wieso es erstrebenswert sein sollte, dass man nicht wenigstens einmal am Tag zur Ruhe findet. Gesamtgesellschaftlich kann ich überhaupt keinen Nutzen darin sehen, dass wir weniger schlafen.

„Schlaf und seine Bedeutung für Gesundheit und Leistungsfähigkeit“ ist das Motto einer Informationsveranstaltung des Arbeitskreis Suchthilfe in der Würzburger Neubaukirche am 27. Juni. Die Veranstaltung beginnt um 14 Uhr. Die Teilnahme ist kostenlos. Um Anmeldung wird gebeten unter: Tel. (09 31) 3 18 20 20.

Andrea Kübler

Seit 2008 ist Andrea Kübler Professorin für Psychologie am Institut für Psychologie der Würzburger Universität. Neben der Psychologie hat sie auch ein Studium der Biologie abgeschlossen und wurde dort promoviert. Daher rührt auch ihr Forschungsschwerpunkt, denn sie untersucht, wie man Ergebnisse der Psychologie auch auf klinische Probleme übertragen kann. Zentral ist dabei die Frage, wie man Aktivitäten des Gehirns nutzen kann, um verschiedene Anwendungen zu steuern. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit Schlafstörungen, vor allem bei Kindern. Text: Sas

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