Warum Glück für Forscher schwer zu fassen ist


Frau macht Luftsprung
Für Wissenschaftler ist das Messen von Glück eine große Herausforderung. © picture alliance/CHROMORANGE / Bilderbox


Der 19-jährige Daniel Gilbert aus Evanston, einem Vorort von Chicago, hatte 1976 gerade die Highschool abgebrochen. Nicht aus Faulheit, sondern um schnell seinen Weg zum Glück anzutreten: Er wollte unbedingt Science-Fiction-Autor werden. Doch als er sich beim Community College für den Kurs "Kreatives Schreiben" anmelden wollte, wurde er enttäuscht: Es gab keine freien Plätze mehr.

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30 Jahre später, im Jahr 2006, veröffentlicht Daniel Gilbert ein Buch, das zum Bestseller wird. Doch es ist keine Science-Fiction-Geschichte. "Stumbling on Happiness", also "Ins Glück stolpern", handelt davon, das Menschen keine Ahnung davon haben, was sie glücklich macht. Gilbert ist inzwischen Professor in Harvard – und ist selbst in sein Glück gestolpert. Denn damals, in Evanston, wollte er nicht unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. Doch nur in einem Kurs waren noch Plätze frei: in Psychologie.

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Wenn es nicht nur um das Glück Einzelner geht, sondern das von Gesellschaften, beschäftigen sich ganze Forscherscharen damit. Indizes, die messen, wo und warum das Leben lebenswert ist, setzen seit einiger Zeit neben objektiv messbaren Eckdaten des relativen Wohlstands auch Einschätzungen der allgemeinen Lebenszufriedenheit.

Gleich zwei Glücksindizes wurden in der vergangenen Woche publiziert. Der "Glücksatlas 2013", für den Wissenschaftler der Universität Freiburg 3000 Interviews geführt hatten, fand heraus, dass die Menschen im Norden Deutschlands zufriedener mit ihrem Leben sind als im Rest der Republik.

Ausgerechnet Schleswig-Holstein, eines der ärmsten Bundesländer, beherbergt demnach die glücklichsten Menschen Deutschlands. "Eigentlich unerklärlich", kommentierte das Ergebnis der Untersuchungsleiter Bernd Raffelhüschen etwas ratlos. Objektive Rahmenbedingungen und subjektives Empfinden klafften offensichtlich weit auseinander.

61 Prozent der Befragten sind zufrieden

Das zweite Ranking ist der Better Life Index von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Er erfasst im internationalen Vergleich neben Kriterien wie Einkommen oder Arbeitslosigkeit auch subjektive Einschätzungen wie Sicherheitsempfinden, sozialen Zusammenhalt und persönliche Lebenszufriedenheit. Deutschland kam demnach glimpflicher als andere Staaten durch die Finanz- und Wirtschaftskrise. So waren in diesem Jahr 61 Prozent der Befragten hierzulande mit ihrem Leben zufrieden, acht Prozentpunkte mehr als noch 2007.

In stärker von der Krise betroffenen Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien sanken die Werte dagegen um bis zu 20 Prozent. Es geht den Deutschen also deutlich besser – vergleicht man aktuelle Werte mit denen der Vergangenheit.

Doch mit Blick auf die anderen Nationen verbessert sich dadurch die Position Deutschlands nicht: Von 36 im Rahmen des Rankings bewerteten Nationen landet es auf dem mittelprächtigen Platz 19, wenn es nur um die Frage nach der Lebenszufriedenheit geht. Oben auf der Liste stehen die Schweiz, Norwegen, Island, Schweden, Dänemark und die Niederlande. Länder, die sich auf den ersten Blick nicht stark von Deutschland unterscheiden, wenn es um Beschäftigungszahlen, Gesundheitsversorgung, Lebenserwartung oder das Bruttoinlandsprodukt geht. Dinge, die zufrieden machen sollten, oder?

Geld ist kein Maßstab für das Wohlergehen

Zumindest machen sie nicht unglücklich, sagen Psychologen. Studien zufolge ist ein gewisser materieller Wohlstand eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Glück. Und die Abwesenheit von Unglück bedeutet nicht automatisch die Anwesenheit von Zufriedenheit.

Vor allem dann, wenn man selbst gar keine Ahnung davon hat, was glücklich macht, wie Gilbert postuliert. "In der westlichen Welt haben wir doch genug – vielleicht ist das in manchen Teilen der Welt nicht so, aber wir haben genug", sagt er in einer Rede für das Ideennetzwerk TED. "Und wir wissen schon sehr lange, dass dies kein guter Maßstab für das Wohlergehen einer Nation ist."

Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Studie, die sich mit Lottogewinnern und Menschen, die gerade von einer Querschnittslähmung betroffen waren, beschäftigt hat. Nach anfänglicher Euphorie beziehungsweise Verzweiflung waren die Untersuchten nach nur einem Jahr wieder genauso zufrieden mit ihrem Leben wie vor den einschneidenden Ereignissen.

Menschen überschätzen das Glück

Dies zeige, so Gilbert, dass Menschen regelmäßig und in recht dramatischem Ausmaß über- und unterschätzen, was sie glücklich oder unglücklich macht und machen würde, wenn sie an die Zukunft denken. Auch beim Blick in die Vergangenheit lägen Menschen oft falsch. So habe jede Generation das Gefühl, dass früher alles besser gewesen sei – dabei sei das heutige Leben besser als jedes andere in der menschlichen Geschichte.

Die Einschätzung der eigenen Lebenszufriedenheit wird durch solche Verzerrungen natürlich eingefärbt. Auch kulturelle Unterschiede beeinflussen sie. Darüber hinaus lassen sich Menschen, wie Martin Seligman, Direktor des Positive Psychology Center in Philadelphia und Urgestein der Glücksforschung, weiß, bei einer simplen Frage nach ihrer Lebenszufriedenheit bis zu 70 Prozent von ihrer momentanen Stimmung leiten.

Lebenszufriedenheit ist also ein wackeliger Indikator. Deswegen hilft es, verschiedene Glücksindizes zu vergleichen. Denn was macht denn nun glücklich, wenn nicht Wohlstand? In dem im September erschienenen World Happiness Report der Columbia University schaffte es Deutschland ebenfalls nicht auf die Spitzenplätze. Die besetzten erneut skandinavische Ländern.

Die Freiheit der Lebensentscheidungen ist essenziell

Aber immerhin konnte sich die Bundesrepublik auf Rang 26 von 156 Nationen platzieren. Die Freiheit, Lebensentscheidungen für sich zu treffen, etwa, als homosexuelles Pärchen heiraten zu können, gingen dabei als positivster Faktor für Glück hervor, psychische Erkrankungen dagegen als der negativste.

Auch der Glücksforscher Martin Binder von der Universität Kassel sieht sich solche Indizes an, sagt aber: "Ich persönlich bin weniger von Ländervergleichen und absoluten Rankings überzeugt als vielmehr von der beeindruckenden Evidenz hinsichtlich der Faktoren die Lebenszufriedenheit beeinflussen." Es gebe länderunabhängig eine Handvoll davon, die großen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben. Wichtiger als Geld seien demnach Gesundheit, soziale Bindungen und ein erfüllender Job.

Dan Gilbert erfüllt alle von Binder genannten Kriterien – er ist gesund, sozial eingebunden, hat einen Job, der im Spaß macht, und genießt weltweite Anerkennung. Seine größte Errungenschaft aber, so sagt er selbst, sei etwas ganz anderes: dass er in der US-Liste der berühmtesten Highschool-Abbrecher noch vor Dizzy Gillespie steht – dem von ihm verehrten Jazzmusiker, der zusammen mit Thelonius Monk und Charlie Parker als Wegbereiter des Bebop gilt.

© DIE WELT

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