Wallenhorsterin kämpft gegen die Ausbeutung angehender Psychotherapeuten – NOZ

„Ich fühle mich diskriminiert, einfach minderwertig behandelt“, sagt Nora Trimpe. Seit drei Monaten arbeitet die 25-Jährige in der geschlossenen Psychiatrie einer Kölner Klinik. Drei Jahre dauert ihre Ausbildung zur Psychotherapeutin insgesamt. Bis zu ihrem 28. Lebensjahr wird sie auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen sein. „Ich habe Glück, dass mich meine Eltern finanziell unterstützen können. Aber es verletzt meinen Stolz und widerspricht auch der Selbstständigkeit, zu der ich erzogen wurde.“

Schuld an der Situation ist aus ihrer Sicht in erster Linie das Psychotherapeutengesetz, das die Vergütung in der Ausbildung nicht regelt. Deshalb liegt es allein bei den Kliniken, ob sie ihre Psychologen bezahlen.

Gäbe es nur wenige junge Leute, die nach ihrem Studium Psychotherapeut werden wollen, wäre die Lage wohl eine andere. Da aber jedes Jahr wieder Tausende Psychologen auf den Markt drängen, können es sich die Kliniken leisten, ihnen nur ein paar Hundert Euro oder überhaupt kein Gehalt zu zahlen.

Trimpe ist mit ihrem Schicksal also nicht alleine. Aber sie ist in Deutschland eine der Ersten, die den Missstand mit Namen und Foto in der Öffentlichkeit anprangert. „Es liegt sicher auch am Wesen der Psychologen, dass wir uns leichter ausbeuten lassen“, sagt Nora Trimpe. „Wer einen helfenden Beruf ergreifen will, der nimmt andere oft wichtiger als sich selbst.“

Klinikleitung mauert

Nora Trimpe aber hat keine Lust mehr, vollen Einsatz zu geben und von ihrem Arbeitgeber nichts zurückzubekommen. Sie habe gemeinsam mit anderen Kollegen intern Kritik geübt, doch auf die Frage nach Gehalt gebe die Klinikleitung immer dieselbe Antwort. „Die sagen: ‚Dafür gibt es keinen Topf.‘“

Wenn die Null-Euro-Jobber wenigstens von ausgebildeten Psychotherapeuten lernen würden, wäre das Gefühl, ausgebeutet zu werden, nicht so stark. Doch an Trimpes Klinik gibt es keinen einzigen Psychotherapeuten. Es gibt nur Psychiater – also Mediziner, die den Psychotherapeuten oft skeptisch gegenüberstehen. Psychiater behandeln seelisches und psychisches Leid mit Medikamenten, Psychologen oder spätere Psychotherapeuten tun das mit ihren Worten. Anerkennung erfährt Nora Trimpe für ihre Arbeit also auch nicht. Und obwohl oder gerade weil ihr Werkzeug die Sprache ist, bekam die 25-Jährige sofort die härtesten Fälle zugewiesen: Psychotiker, die den Realitätsbezug weitgehend verloren haben, oder Borderline-Patienten, deren extremes Gefühlschaos auch manchen erfahrenen Therapeuten noch überfordert. Eine von Trimpes Patientinnen hatte in den Wochen vor dem ersten Gespräch mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen.

„Die Psychiater denken wahrscheinlich, da ich ja nur mit Worten arbeite, kann ich da nichts mehr kaputt machen“, sagt Nora Trimpe. Sie aber fühle sich moralisch voll für ihre Patienten verantwortlich. „Und das ist doch auch normal, wenn man Psychologie studiert und gelernt hat, wie mächtig die Sprache ist.“ Anders als ein Mediziner hat Nora Trimpe in ihrem Studium aber nicht praktisch vermittelt bekommen, wie man einen Patienten behandelt. So arbeitet sie also Tag für Tag ohne Anleitung, ohne praktische Erfahrung und ohne Gehalt mit hoch aggressiven, suizidgefährdeten oder schwer psychotischen Menschen.

Um etwas an ihrer Situation zu ändern, gehen nun bundesweit Psychotherapeuten-Azubis auf die Straße. Sie kämpfen für eine Vergütung ihrer Arbeit und die Reform des Psychotherapeutengesetzes. Trimpe hat die Proteste in Köln mitorganisiert; am vergangenen Donnerstag demonstrierten sie und ihre Kollegen vor dem Dom.

Nora Trimpe hofft, dass dies der Anfang einer bundesweiten Protestwelle ist. „Die Öffentlichkeit und auch die Patienten sollen von unserer Lage erfahren“, sagt sie. Eine Entlohnung der zukünftigen Psychotherapeuten sei doch für alle von Vorteil: „Psychologen sind auch nur Menschen und zeigen mehr Engagement, wenn sie für ihre Arbeit auch bezahlt werden.“

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