Wahrnehmung und Welt

Psychologie Wahrnehmung und Welt

Von Volkart Wildermuth


Sascha Köhler, Mitarbeiter der Ausstellung Streifzug der Sinne, demonstriert am 13.08.2013 in Berlin eine optische Täuschung durch Spiegeleffekte. Die interaktive Ausstellung zur menschlichen Wahrnehmung ist noch bis zum 25.08.2013 am Wissenschaftsstandort Adlershof zu sehen.

Die menschlichen Sinne lassen sich leicht hinters Licht führen. (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)

Zuckerpillen können heilen, wenn der Patient nur fest daran glaubt: Der Placeboeffekt in der Medizin ist gut dokumentiert. Doch nicht nur dabei beeinflussen Überzeugungen die Wahrnehmung. In Berlin versuchen Forscher zu verstehen, wie das Erleben aus einer Mischung aus Sinnesdaten und vorgefasstem Weltbild entsteht.

"Ich hab's mit eigenen Augen gesehen" - das klingt überzeugend, die eigenen Sinneseindrücke gelten als besonders verlässliche Informationsquelle über den Zustand der Welt. Doch das ist eine Illusion, sagt der Wahrnehmungspsychologe Philipp Sterzer von der Berliner Charité:

"Ich würde sagen: Ja! Wir sehen das, was wir erwarten. Und unsere Wahrnehmung ist extrem stark dadurch nicht nur beeinflusst, sondern hängt essenziell davon ab, was wir für Erwartung haben."

Im Erleben treffen immer Sinnesdaten und Erwartungen aufeinander. In einem ersten Schritt verstärkt das Gehirn Kontraste, korrigiert die Farbwerte je nach Beleuchtung und sorgt dafür, dass Objekte gleich groß wirken, egal wie weit sie entfernt sind. Solche kleinen Tricks sind im Lauf der Evolution entstanden, um ein stabiles Bild der Wirklichkeit zu erzeugen. Doch das ist nicht alles. Unbewusst wird das Bild weitergehend interpretiert. Sterzer:

"Wenn ich gerade sehr traurig oder sogar depressiv bin, werde ich meine Welt anders wahrnehmen, als wenn ich fröhlich bin."

Alles Ansichtssache

Und auch Überzeugungen beeinflussen die Wahrnehmung. Das konnte Philipp Sterzer mit einem eleganten Experiment nachweisen. Auf einem Bildschirm sahen seine Versuchspersonen eine Wolke aus bewegten Punkten.

"In diesem Fall war es eine Punktwolke, die so programmiert war, dass man sie als Kugel wahrnehmen konnte, die sich entweder nach links oder nach rechts dreht. Die Wahrnehmung liegt aber hier im buchstäblichen Sinne im Auge des Betrachters."

Als Nächstes bekamen die Probanden eine Brille mit bunten Gläsern. Mit ernster Mine verkündeten die Forscher, diese Brille würde eine verborgene Rechtsdrehung im Bild sichtbar machen. Und tatsächlich begannen sich die Punkte nach rechts zu drehen. Das aber lag nicht an der Brille. Ohne es zu verraten hatten die Forscher die Darstellung auf dem Bildschirm manipuliert. Mit diesem Trick pflanzten sie bei den Probanden die falsche Überzeugung ein, die Brille würde ihre Wahrnehmung verändern. Erst nach diesen Vorbereitungen begann der eigentliche Versuch. Wieder setzten die Probanden die Bille auf. Diesmal erblickten sie eine Punktwolke in der es keine objektive Bewegungsrichtung gab. Trotzdem meinten viele, eine klare Rechtsdrehung zu erkennen. Allein der Glaube an die Eigenschaften der Brille reichte aus, ihre Wahrnehmung zu verändern. Im Grunde ist das ein Placeboeffekt nicht für Schmerzen, sondern für den Sehsinn. Besonders spannend findet Philipp Sterzer, dass die Menschen unterschiedlich leicht ihre Erwartungen über ihre Sinneseindrücke stellen:

"Also Menschen, die eher geneigt sind an zum Beispiel Übernatürliches zu glauben, an Verschwörung zu glauben, Zusammenhänge zu sehen zwischen Dingen diese beobachten, die sind auch eher bereit, Dinge entsprechend ihren Erwartungen und ihren Überzeugungen wahrzunehmen."

Philipp Sterzer versucht nun herauszufinden, ob Menschen mit einer schizophrenen Störung besonders anfällig für diese Art von Wahrnehmungsverzerrung sind:

"Was dann, so ist die Theorie, letztlich wiederum das wahnhafte Denken verstärken kann. Wenn ich die Welt so sehe, wie ich denke, dann denke ich wiederum so, wie ich sehe."

Wahrnehmung und Welt

Psychologen können das Zusammenspiel von Erwartung und Sinnesdaten inzwischen im Detail studieren. Philosophen denken aber schon lange darüber nach, dass Wahrnehmung und Welt zwei ganz verschiedene Dinge sind. Thomas Metzinger von der Universität Mainz betont, dass sich die mageren Sinnesdaten nur dank vorher bestehender Erwartungen überhaupt sinnvoll interpretieren lassen:

"Gehirne können nicht direkt an die Wirklichkeit heran. Deshalb müssen Sie die Reizung durch die Sinnesorgane ständig neu interpretieren und Hypothesen bilden darüber, was wohl die Ursachen dieser Reizungen unserer Sinnesorgane sind."

Meist sind diese Hypothesen so gut, dass der Kontakt mit der Welt reibungslos funktioniert. Nur gelegentlich, im Labor oder bei optischen Täuschungen, zeigt sich, wie viel unbewusste Vorannahmen in dem scheinbar direkten Blick auf die Welt stecken.

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