Vorsicht vor Küchenpsychologie in der Führungsetage

Strategie: Psychoseminare zur Mitarbeiterführung erfreuen sich bei Managern großer Beliebtheit. Ihr Nutzen ist aber fraglich. Denn wenn Hobbypsychologen in Führungsetagen auf Ingenieure losgelassen werden, können sie großen Schaden anrichten.

VDI nachrichten, Berlin, 16. 3. 12, cer

Welcher Typ sind Sie? Der Rote (kämpferischer Macher) oder der Blaue (rationaler Planer) oder doch der Grüne (einfühlsamer Kreativer)? Drei Farben, drei Persönlichkeitsmerkmale, fertig. Mehr braucht die Biostruktur-Analyse nicht, die davon ausgeht, dass beim Menschen entweder rote, blaue oder grüne Gehirnbereiche mit speziellen Merkmalen dominieren, die das Wesen einer Person vorbestimmen. Manchem gilt die Methode gar als „Schlüssel zur Menschenkenntnis“.

Und den drehen immer mehr Manager, die nach dem Besuch eines Biostruktur-Analyse-Seminars ihre Teams gemäß dieser Farbenlehre zusammenstellen und glauben, nun Stärken und Schwächen ihrer Mitarbeiter zu kennen. Denn mit wenig Aufwand offenbare sich die Persönlichkeitsstruktur, „einprägsame Visualisierung“ (Rot, Grün, Blau) „sowie leichter und unmittelbarer Praxistransfer“ seien garantiert, werben die Seminaranbieter. Wirklich?

Psychoseminare wie diese sprießen aus dem Boden und erfreuen sich großer Beliebtheit. Ihr Nutzen ist aber fraglich. Bestenfalls. Schlimmstenfalls richten die frisch erkorenen Hobbypsychologen in Führungsetagen Schaden an, wenn Mitarbeiter aufgrund ihrer vermeintlichen Persönlichkeitsschwächen abgestempelt werden.

Aber in der Einfachheit liegt der Charme: „Viele Trainings, die auf typologisierende Verfahren setzen, verkaufen sich gut, weil sie die Komplexität reduzieren“, sagt Matthias Kämper, Leiter des operativen Geschäfts bei der Managementberatung SF Personalpsychologie. In einem Mix aus überkommenen Erkenntnissen der Psychoanalyse, vielen Allgemeinplätzen, in denen sich jeder wiederfindet, und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werde versucht, auf schwierige Fragen in der Mitarbeiterführung einfache Antworten zu finden. „Moderne Managementmethoden sind da weiter“, sagt Kämper. Natürlich analysieren auch sie die Persönlichkeit, aber eben nicht nur und wesentlich differenzierter. „Besonders in Auswahlverfahren spielen Persönlichkeitsaspekte eine Rolle, weil sie stabil und insofern ein guter Indikator für die berufliche Eignung sind“, sagt Kämper. Ob ein Anwärter ins Team passt, lasse sich mit wissenschaftlich fundierten und standardisierten Verfahren durchaus herausfinden. Das bei Ingenieurstellen häufig auftretende Risiko „Wegen Fachkenntnis eingestellt, wegen Persönlichkeit entlassen“ ließe sich mit psychologischen Testverfahren reduzieren.

In der Mitarbeiterführung mit Psychologie zu arbeiten – dagegen hat auch Wirtschaftspsychologe Marc Solga, Professor an der Ruhr-Uni Bochum, nichts. Im Gegenteil. Wohl aber gegen Küchenpsychologie.

„Der Einfluss von Persönlichkeit, der in fast jedem Führungsseminar betont wird, wird überschätzt. Zudem sind viele Persönlichkeitsmodelle, die in Wirtschaftsunternehmen kursieren, wissenschaftlich eher zweifelhaft“, sagt Solga. Folge: „Führungskräfte ziehen sich so aus der Verantwortung, wenn an allem, was schief läuft, ohnehin die Persönlichkeit des Mitarbeiters schuld ist. Das ist Anti-Führung.“ Denn eigenes Verhalten müssen Manager dann nicht mehr reflektieren oder an sich selbst arbeiten.

Stattdessen sollten Manager lieber lernen, die Beziehungen zu Mitarbeitern individuell zu gestalten, ihre Bedürfnisse zu erkennen, Interessen und Kompetenzen zu fördern, zu begeistern, durch Fürsorge zu binden. Wer dabei zu sehr psychologisiert, könnte bei Ingenieuren schnell auf Ablehnung stoßen. „Sie sind in der Regel noch kaum mit solchen Inhalten in Kontakt gekommen und auch in der Mitarbeiterführung eher technisch oder fachlich orientiert“, gibt Solga zu bedenken. Aber die richtige Ansprache lässt sich lernen, meint der Wirtschaftspsychologe.

Was nicht heißen soll, nach einem Wochenendseminar den Therapeuten herauszukehren. „Wer plötzlich von der straffen Führungskraft zum Pseudopsychologen mutiert, der mit weichgespülten Psychoideen motivieren möchte, der irritiert und wird Widerstand ernten“, sagt Psychologe Rolf Schmiel. „Das geht an der Lebenswelt von Ingenieuren völlig vorbei.“ Dennoch muss Schmiel zuweilen in seinen Trainings Führungskräften eine vermeintliche Binse näherbringen: „Auch Ingenieure sind Menschen mit Bedürfnissen. Das wird oft nicht beachtet.“

Wenn Ingenieure mit Führungsverantwortung an ihre Grenzen stoßen, dann helfe die Psychologie weiter, etwa, um Formen von innerer Kündigung zu erkennen und dagegen anzugehen. Das Rüstzeug ist einfach, muss aber verinnerlicht werden: zuhören, anerkennen, begreifen, wie jemand tickt. Kurz: „Mitarbeiter wollen bewusst wahrgenommen werden“, sagt Schmiel.

Allein dafür empfiehlt er Ingenieuren zumindest „minimale psychologische Kenntnisse“. Wirtschaftspsychologe Andreas Sourisseaux, Gründer von Dr. Sourisseaux, Lüdemann und Partner, registriert zumindest bei Ingenieuren in Top-Führungspositionen eine gewisse Affinität zur Psychologie: „Die wird nicht mehr wie noch vor Jahren als Esoterik abgetan.“ Nur einen Fehler sollten Manager nicht begehen: psychologischen Rat als absolut ansehen. „In der Regel geht es darum, andere Perspektiven auf die Mitarbeiterführung zu eröffnen und nicht um klare Handlungsanweisungen für die Praxis“, sagt Sourisseaux.

Die Diagnostik sollte ohnehin Profis überlassen werden. „Sonst kann es zu absurden Katastrophen kommen“, weiß Motivationstrainer Schmiel. Denn: „2000 Mitarbeiter lassen sich nicht in Farbkategorien einteilen. Keine dieser Schubladen würde auch nur einem gerecht.“   CHRIS LÖWER


Psychologisches Kapital einsetzen 

-Organisationspsychologen der Arizona State University haben das „psychologische Kapital“ von Führungskräften und ihren Mitarbeitern erforscht. Damit meinen sie zentrale Stärken, durch die Menschen unter anderem besser arbeiten und mehr leisten. Ergebnis: Führungskräfte stärken ihre Mitarbeiter, wenn sie selbst über viel psychologisches Kapital verfügten, sprich: über Selbstvertrauen, Optimismus und Widerstandsfähigkeit. Diese Eigenschaften sollten Führungskräfte ihren Teams vorleben, denn nur so verbreiten diese sich und verbessern die Arbeitsleistung. C.L.

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