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«Von einer ‹Generation Ich› kann keine Rede sein»

Der Berner Psychologe Ulrich Orth sagt, dass die Jugendlichen heute nicht narzisstischer seien als früher.

Der Psychologe UIrich Orth erforscht das Wesen der Persönlichkeit. Foto: Adrian Moser

Der Psychologe UIrich Orth erforscht das Wesen der Persönlichkeit. Foto: Adrian Moser

Ulrich Orth

Der 43-jährige Entwicklungspsychologe Ulrich Orth erforscht am Institut für Psychologie der Universität Bern die Persönlichkeitsentwicklung im Verlauf eines menschlichen Lebens. In zahlreichen Studien untersuchte er die Entwicklung des Selbstwertgefühls sowie dessen Einfluss auf Erfolg und Wohlergehen in den Lebensbereichen Partnerschaft, Arbeit und Gesundheit.

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Wenn wir von den Schweizer Strassen einen x-beliebigen jungen Erwachsenen holen und Sie dessen Selbstwertgefühl ermitteln: Können Sie vorhersagen, ob es ähnlich gross bleibt, sobald er 70 Jahre alt wird?
Ja, zu einem gewissen Grad ist das möglich. Tendenziell wird ein Jugendlicher, der im Vergleich zu seiner Altersgruppe ein hohes Selbstwertgefühl hat, auch als älterer Mensch weniger an sich zweifeln als seine Altersgenossen. Umgekehrt wird jemand, der als junger Mensch stärker mit sich hadert, das voraussichtlich auch noch als 50-, 60- oder 70-Jähriger tun. Bei solchen Vorhersagen liegt man deutlich über der Zufallswahrscheinlich­keit. Neue Studiendaten zeigen, dass das Selbstwertgefühl eine relativ stabile menschliche Eigenschaft ist – also ein Persönlichkeitsmerkmal. Das heisst, es ist nicht so variabel wie etwa die Stimmung, die sich täglich ändern kann.

Ist es also vom Jugend- bis ins Greisen­alter in Stein gemeisselt?
Das nun nicht. Ich sagte ja: relativ stabil. Veränderungen sind möglich. Lebensereignisse können in einem gewissen Mass das Selbstwertgefühl beeinflussen, etwa Beziehungen oder berufliche Umstände. Mit der Folge, dass sich dieses Merkmal bei den Betroffenen stärker verbessert oder verschlechtert, als man das prognostizieren würde. Ausserdem gibt es Menschen, die durch eine Psycho­therapie ihre Achtung vor sich dauerhaft verbessern.

Beeinflussen moderne kulturelle Entwicklungen den Verlauf des Persönlichkeitsmerkmals? Zum Beispiel der angeblich zunehmende Fokus der Leute auf ihr Ego?
Es wird immer wieder behauptet, dass die jungen Generationen der vergangenen Jahrzehnte narzisstischer geworden seien und ein höheres Selbstwertgefühl hätten. Die These ist auch nicht ganz abwegig. Aber unsere Studien liefern keine Anhaltspunkte, dass sich das Selbstwertgefühl über die vergangenen Generationen hinweg bedeutsam verändert hat. Weder in der Höhe – junge Leute haben heute im Schnitt keine höhere Selbstachtung als junge Leute vor 20, 30 oder 60 Jahren – noch im Verlauf des Lebens. Aus meiner Sicht kann von einer «Generation Ich» also keine Rede sein.

In welchen Situationen ist das Selbstwertgefühl besonders wichtig?
Es lenkt, womit Menschen in sozialen Situationen rechnen. Ob sie zum Beispiel erwarten, dass sie von anderen Menschen mit Wertschätzung und Interesse behandelt werden – oder ob sie Menschen sind, mit denen andere gerne Beziehungen führen. Auch im Arbeitskontext kann die Selbstachtung erklären, warum manche Leute davon ausgehen, dass sie mit ihrem Können bei anderen ankommen oder nicht.

Das Selbstwertgefühl beeinflusst auch das Wohlbefinden und den Erfolg in Privat- und Berufsleben. Wie äussert sich das?
Der Einfluss auf das Wohlbefinden ist mittelgross. Wer stark an sich zweifelt, hat zum Beispiel ein höheres Risiko für Depressionen. Umgekehrt schützt ein hoher Selbstwert Menschen vor depressiven Phasen. Der Einfluss auf Arbeit und Partnerschaft ist kleiner, aber bedeutsam. Ein gutes Selbstwertgefühl ist Teil der emotionalen Stabilität. Aber es ist nicht das Gleiche.

Stellen umgekehrt Lebensumstände und andere Menschen unsere Selbstachtung auf die Probe?
Welche Faktoren sich wie stark auswirken, ist wissenschaftlich noch nicht ­einwandfrei geklärt. Die besten verfügbaren Studien besagen, dass Erfolg im Beruf oder eine gute Gesundheit Veränderungen im Selbstwertgefühl nicht ­erklären können. Aber in einer unserer aktuellen Studien sehen wir: Wenn ­Menschen in eine gute, längerfristige Partnerschaft eintreten, dann hat dieser Übergang einen positiven Effekt.

Und eine schlechte ­Partnerschaft?
In Studien ist das noch nicht überprüft. Es spricht aber einiges dafür, dass eine lange anhaltende geringschätzige Behandlung durch einen anderen Menschen das Selbstwertgefühl negativ beeinflussen kann.

Hilft ein starkes Selbstwertgefühl, mit unschönen Ereignissen im Leben umzugehen?
Auch dazu fehlen Studien. Aber ein gutes Selbstwertgefühl ist in solchen Situationen – wenn der Job verloren geht, wenn sich Partner oder Freunde abwenden – sicher von Vorteil. Wer eine positive Einstellung zu sich hat, geht davon aus, dass die eigene Person von anderen grundsätzlich akzeptiert wird, selbst wenn es in der konkreten Situation ­anders erscheint. Was wiederum dazu beitragen kann, nicht in eine depressive Abwärtsspirale zu kommen.

Gibt es Phasen im Leben, in denen das Selbstwertgefühl «natürlicherweise» steigt oder fällt?
Ja, aber sicher nicht allein aufgrund des biologischen Alters eines Menschen. In mehreren Studien haben wir beobachtet, dass es von der Jugend bis zum mittleren Erwachsenenalter typischerweise wächst. Warum? Gemäss einer Hypothese, die auf der Forschung zur Persönlichkeitsentwicklung basiert, übernehmen Menschen im jungen bis mittleren Erwachsenenalter immer mehr soziale Rollen in Beruf, Partnerschaft und Gesellschaft. Sie werden ­Eltern, übernehmen Verantwortung im Beruf, vielleicht auch im Ehrenamt. Diese Veränderungen bewirken in der Regel, dass Menschen besser in der Gesellschaft funktionieren. Das alles erhöht üblicherweise ihr Selbstwertgefühl.

Gilt das für Frauen und Männer in gleichem Masse?
Ja. Umso wichtiger ist es, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern weiter gefördert wird.

Was passiert im Alter?
Das durchschnittliche Selbstwertgefühl nimmt in dieser Lebensphase ab. Das zeigen die meisten vorliegenden ­Studien. Wie stark es sinkt, hängt wohl ab vom gesundheitlichen Zustand, von der finanziellen Absicherung und vom sozialen Ansehen, das ein älterer Mensch geniesst oder empfindet. Es gibt aber auch einzelne ältere ­Menschen, deren Achtung vor sich selbst stabil bleibt, weil sie die altersbedingten Verluste kompensieren. Sie schauen fokussiert auf ihre Stärken. Wie sie das schaffen, müssen wir genauer untersuchen. Selbstzweifel im Alter werden immer noch zu wenig thematisiert.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 01.02.2015, 18:53 Uhr


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