Statt mit Patienten arbeitet Eero Castrén, Professor für Neurowissenschaften an der Universität Helsinki, mit Mäusen. Nur an den Nagern lassen sich die molekularen Details der Wirkung von Medikamenten und Psychotherapien untersuchen. Doch vor der Therapie steht im Labor nicht die Diagnose sondern die Auslösung der Krankheit, in diesem Fall das Nager-Äquivalent einer Angststörung. Den Mäusen wurde ein Ton vorgespielt, gleichzeitig erhielten sie einen leichten elektrischen Schlag an die Pfote. Schnell begannen sie den Ton zu fürchten.
"Sie erstarren dann auf dem Fleck. Man kann das mit einem Zahnarztbesuch vergleichen. Schon das Geräusch des Bohrers lässt einen verkrampfen, weil es vielleicht gleich weh tut."
Die ängstlichen Mäuse hat Eero Castrén dann behandelt. Eine Gruppe bekam ein Antidepressivum in Trinkwasser, doch das half wenig gegen die Angst. Eine zweite Gruppe erhielt eine Art Psychotherapie für Mäuse. Natürlich keine Gesprächstherapie nach Sigmund Freud. Angststörungen werden meist mit einer Verhaltenstherapie behandelt. Dabei stellt sich der Patient der für ihn angstbesetzten Situation und lernt nach und nach, damit umzugehen. Dieses Konzept lässt sich auch bei Mäusen umsetzen, ganz einfach, in dem man den Tieren den gefürchteten Ton vorspielt, ohne ihnen gleichzeitig einen elektrischen Schlag zu verabreichen. So verlernen sie ihre Angst, aber der Effekt ist nicht von Dauer, nach einer Woche kehrt die Furcht zurück. Castrén:
"Wenn man aber das Antidepressivum mit der Psychotherapie für Mäuse kombiniert, dann ist das anders. Wenn der Ton eine Woche später gespielt wird, erstarren die Mäuse nicht. Das zeigt: die Kombination hat einen dauerhaften Effekt, anders als die beiden Therapieformen je für sich."
Die Frage ist nur: Warum? Im Gehirn der Mäuse hat Eero Castrén sich ganz genau die Nervenzellen in den Angstzentren angesehen. Hier, in der Amygdala, dem Mandelkern, löste das Antidepressivum eine ganze Reihe von Veränderungen aus. Sie werden koordiniert von dem Wachstumsfaktor BDNF, der die Nerven der Amygdala quasi in ihre Kinderzeit zurückführt.
"Wir haben entdeckt, dass das Antidepressivum die Amygdala und das ganze Angstnetzwerk in einen Zustand versetzte, der an die Zeit kurz nach der Geburt erinnert. Das ist eine besondere Phase, in der die Amygdala dauerhaft geprägt werden kann. Es sieht also so aus, als ob das Antidepressivum die Amygdala wieder lernfähig macht. Die Psychotherapie kann das ausnutzen und so langanhaltende Effekte erzielen."
Damit das funktioniert, muss das Antidepressivum etwa zwei Wochen vor der Psychotherapie gegeben werden. dann hat es Zeit, die Schaltkreise der Amygdala bereit zu machen für neue, angstfreie Erfahrungen. Trotz aller Unterschiede zwischen Maus und Mensch, die Angstnetzwerke des Gehirns sind so grundlegend, dass sie sich über die Evolution hinweg nur wenig verändert haben. Deshalb, davon ist Eero Castrén überzeugt, sind seine Erkenntnisse auch für menschliche Patienten relevant.
"Zumindest bei Patienten mit Angsterkrankungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen wäre es ratsam, von Anfang an auf eine Kombination aus Antidepressivum und Psychotherapie zu setzten."
Ähnliches gilt wohl auch für die Depression. Der Vorteil der Kombinationstherapie ist Ärzte und Psychotherapeuten eigentlich bekannt. Meist wird aber, vielleicht auch aus Kostengründen, erst ein Ansatz verfolgt. Nur wenn der nach längerer Zeit nicht anschlägt, wird er ergänzt. Vielleicht kann die molekulare Erklärung der positiven Interaktion von Antidepressivum und Psychotherapie, Mediziner und Krankenkassen motivieren, verstärkt von Anfang an auf die Kombination zu setzen, um den Patienten schneller und vor allem langfristiger zu helfen.