Unis: Weniger Arbeiterkinder nach Beschränkungen

Akademikerkinder profitierten von Beschränkungen bei Medizin, Psychologie, Publizistik, Biologie

Wien – Die Kinder von Akademikern haben von der Einführung von Zugangsbeschränkungen an Unis "profitiert" – ihr Anteil an der Zahl der Studienanfänger hat sich in den betroffenen Fächern erhöht. Das zeigt eine am Dienstag bei einer Tagung der Arbeiterkammer (AK) präsentierte Studie. Für die Untersuchung wurde die Entwicklung in Medizin, Veterinärmedizin, Psychologie, Publizistik und Biologie analysiert.

Zugangsbeschränkungen wurden in Österreich in Folge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Jahr 2005 eingeführt. Die Studienautoren verglichen die soziale Zusammensetzung der Studienanfänger beziehungsweise Studenten jeweils vor und nach der Implementierung.

Mehr als 50 Prozent

In der Humanmedizin betrug der Anteil der Akademikerkinder in den Jahren zwischen 2000 und 2004 maximal 41 Prozent. Nach Einführung der Beschränkung stieg er auf 54,5 Prozent und verblieb seither über der 50-Prozent-Marke. Ein Teil dieser Entwicklung kann durch den Anstieg der ausländischen Studenten – vor allem aus Deutschland – erklärt werden, die generell einen höheren familiären Bildungshintergrund aufweisen. Da es allerdings eine Quotierung der Plätze gibt – 75 Prozent für Inländer, 20 Prozent für EU-Bürger und fünf Prozent für Studierende aus Drittstaaten –, schlägt dieser Effekt nicht allzu hoch zu Buche.

Ein hoher Akademikerkinder-Anteil im Medizinstudium ist übrigens kein österreichisches Phänomen: Laut Wissenschaftsministerium stammen in Deutschland sogar 68 Prozent der Medizinstudenten aus einem Akademikerhaushalt, in der Schweiz sind es 57 Prozent.

Ein ähnliches Bild wie in der Humanmedizin zeigt sich auch in der Veterinärmedizin, wo es seit 2005 Eignungstests samt Aufnahmegesprächen gibt, allerdings keine Quotenregelung. Dort lag der Anteil der Akademikerkinder an den Studienanfängern im Jahr vor der Beschränkung bei 34 Prozent und stieg bis ins darauffolgende Studienjahr auf 46 Prozent. Zieht man den Effekt der sozial bessergestellten "Bildungsausländer" ab, bleibt eine um einige Prozentpunkte bessere Repräsentation der Kinder von Hochschulabsolventen.

In beiden Fächern stieg der Anteil jener Studienanfänger, die über die AHS an die Universität kamen – in der Humanmedizin weniger stark, in der Veterinärmedizin stärker. Der Frauenanteil in beiden Fächern sank (wobei dieser allerdings in der Veterinärmedizin nach wie vor über 70 Prozent liegt).

Ausländische Studierende prägen Effekt

Auch in der Psychologie und der Publizistik stieg der Anteil der Akademikerkinder stark an – den Großteil dieses Effekts machten aber die ausländischen Studienanfänger aus, die im Schnitt aus sozial höheren Schichten kommen. Deutlich zeigt sich der Effekt in der Biologie, für die 2005 Zugangsbeschränkungen eingeführt, 2007 aber wieder ausgesetzt wurden. Im Jahr der Einführung der Beschränkung nahm der Anteil der Akademikerkinder unter den Studienanfängern um rund acht Prozentpunkte auf 43 Prozent zu, verblieb im Jahr darauf auf diesem Niveau und sank nach Aussetzung der Regelung wieder auf unter 40 Prozent.

Die 2013 eingeführten "neuen" Zugangsbeschränkungen in Architektur, Biologie, Pharmazie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften wurden noch nicht berücksichtigt. Eine Evaluierung des Instituts für Höhere Studien (IHS) war hier aber zuletzt zum Schluss gekommen, dass sich die soziale Zusammensetzung der Studienanfänger nicht verändert hat.

Dass der familiäre Hintergrund einen großen Einfluss auf den Bildungserfolg hat, zeigt eine weitere von der AK in Auftrag gegebene Studie der Wirtschaftswissenschafter Rene Böheim und Christina Judmayr (Uni Linz). Die Forscher haben Daten von über 190.000 Geschwisterpaaren in Österreich analsysiert.

Geschwister mit ähnlichen Abschlüssen

Ihr Fazit: Wer Geschwister mit Pflichtschulabschluss hat, wird kaum Akademiker oder Akademikerin werden. Die Wahrscheinlichkeit, einen Uni-Abschluss zu machen, liegt für diese Gruppe bei drei Prozent. Dass sie einen Lehrabschluss oder eine berufsbildende mittlere Schule machen, ist viel wahrscheinlicher: Hier liegt die Quote bei 44 Prozent. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 39 Prozent haben diese Personen ebenfalls höchstens einen Pflichtschulabschluss.

Demgegenüber haben Geschwister von Akademikern mit einer Wahrscheinlichkeit von 77 Prozent mindestens eine Matura – die Wahrscheinlichkeit, als höchsten Bildungserfolg einen Pflichtschulabschlusses zu haben, beträgt dagegen nur rund fünf Prozent.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine Analyse der Einkommenssituation. Da die Geschwister in der analysierten Stichprobe vergleichsweise jung waren, erwarten die Studienautoren, dass die Bedeutung des familiären Hintergrunds für ältere Geschwisterpaare aufgrund der höheren Bildungsmobilität jüngerer Jahrgänge noch bedeutsamer ist.

Die Korrelationen zwischen den Geschwistern ähneln dabei den Werten für Dänemark und Schweden. In Deutschland und den USA ist der Zusammenhang sogar noch größer.

Anhand der Daten nicht überprüft werden konnten die Gründe für die Wichtigkeit der Herkunft für den Lebenserfolg. Die Bedeutung könne sowohl natürlich wie auch sozial bedingt sein. "Da allerdings eine frühe Trennung von Kindern in eine akademische und eine nicht-akademische Laufbahn zu größerer Ungleichheit bei Bildung als eine spätere Trennung führt, ist zu vermuten, dass die Ausgestaltung des Bildungssystems hier ein wichtiger Faktor ist", heißt es in der Studie.

Allgemein kann man sagen: Je stärker der Zusammenhang zwischen familiärer Herkunft und späterem Lebenserfolg, desto geringer ist die Chancengleichheit einer Gesellschaft. Ähneln sich also die Bildungsabschlüsse beziehungsweise Einkommen von Geschwistern, spricht das für eine ungleiche Chancenverteilung.

ÖH sieht sich bestätigt

Die HochschülerInnenschaft (ÖH) sieht sich durch die Studien bestätigt, dass Uni-Zugangsbeschränkungen zu weniger sozialer Durchmischung führen. Auf lange Sicht würden Kinder von Nicht-Akademikern vom Studieren abgehalten.

Man habe bereits in den vergangenen Wochen davor gewarnt, "dass Zugangsbeschränkungen sich negativ auf die soziale Durchmischung auswirken werden", so der stellvertretende ÖH-Chef Florian Kraushofer (Fachschaftslisten) in einer Aussendung. Das Wissenschaftsministerium versuche momentan "durch äußerst kurzfristige Studien darüber hinwegzutäuschen". Die ÖH fordert daher einmal mehr "ein Ende der protektiven Elitenpolitik an den Hochschulen und ein Ende der Zugangsbeschränkungen".

Für die Universitätenkonferenz (uniko) bedarf es ob der Studie einer gründlichen Betrachtung. Die kürzlich vom Ministerium vorgelegten Evaluierungen der Zulassungsregelungen ließen zwar "den Schluss zu, dass sich im Medizinstudium die Bildungsschicht aus Ärztinnen und Ärzten großteils selbst reproduziert". Darüber hinaus seien aber "keine Hinweise auf strukturelle Auswirkungen auf die soziale Durchmischung erkennbar", so uniko-Präsident Heinrich Schmidinger. (APA, 16.6.2015)

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