Uni Osnabrück: Ein Ess-Kimo gegen die Essstörung – NOZ

Eine Eskimodame mit langen Wimpern schaut den Besucher der Ess-Kimo-Seite auf Facebook an. Sie lächelt. Unter „Aktivitäten und Interessen“ findet sich nur ein Eintrag: Ess-Brech-Sucht. Die Krankheit als Vollzeitbeschäftigung. Sie lässt die Betroffenen nicht los.

Genauso wenig wie sie Ruth von Brachel und Katrin Hötzel ruhen lässt. Die beiden sind Diplom-Psychologinnen, die Ess-Brech-Sucht ist für sie eine Teilzeit-Herausforderung. Angeleitet von Silja Vocks, die inzwischen als Psychologie-Professorin an der Universität Osnabrück arbeitet, haben die beiden Doktorandinnen der Ruhr-Universität in Bochum das Online-Forschungsprojekt Ess-Kimo entwickelt. Es soll Frauen helfen, sich zielgerichtet mit ihrem Essverhalten und ihrer Selbstwahrnehmung auseinanderzusetzen.

„Das Angebot richtet sich an Frauen, die sich fragen: Leide ich unter einer Essstörung?“, sagt von Brachel. An solche, die Anzeichen von Magersucht oder der Ess-Brech-Sucht bei sich entdeckt haben, und solche, für die Selbstbewusstsein zwangsläufig mit Schlankheit einhergeht. Es ist keine Diäthilfe und für übergewichtige Frauen ungeeignet.

Ess-Kimo funktioniert so: Frauen zwischen 18 und 45 Jahren melden sich über das Internet kostenlos für das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Programm an. Anschließend beantworten sie mehrere Fragebögen zu ihrer Person, zu Alter und Gewicht, zu Motivation und Zielen. Die Teilnehmerinnen bleibt anonym.

Eine Woche später beginnt die erste von sechs sogenannten Sitzungen. Dabei erhalten die Frauen eine von den Psychologinnen erstellte Auswertung ihrer Fragebögen. Diese spiegelten wider, wo die Frauen stehen in Sachen Essstörung und ihrer Motivation, etwas dagegen zu tun, sagt von Brachel. Danach folgen weitere fünf thematische Sitzungen. Jede mit fachlichen Reflexionen, neuen Impulsen, weiteren Fragen und Aufgaben. Meist geht es um Motivation, Entscheidungen und die Frage: Was ist die Essstörung für mich? „Denn wenn ich erst einmal weiß, wobei mir die Störung hilft, überlege ich, wie ich das erwünschte Ziel anders erreichen kann“, sagt von Brachel. Auch wenn Professorin Vocks betont, dass Ess-Kimo keine Therapie ist und eine solche nicht ersetzt, haben die Frauen nach den sechs Sitzungen doch eines erreicht: „Sie sind sich klarer über Kosten und Nutzen ihrer Essstörung, und die meisten sind motivierter, etwas zu ändern“, sagt von Brachel.

Dabei stützt sie sich auf Aussagen von Frauen, die das im Mai gestartete Programm durchlaufen haben. Eine Bilanz gibt es noch nicht. Ess-Kimo soll bis Mitte nächsten Jahres weitergehen. Auswerten werden es Hötzel und von Brachel dann in ihren Doktorarbeiten. Bis dahin hoffen sie, dass weiterhin so viele Frauen mitmachen wie bisher – und dass weniger aufhören. Der schnelle anonyme und kostenlose Zugang zur Hilfe ist gleichzeitig ihr Problem: Die Teilnehmerinnen sind zu nichts verpflichtet, manch eine bricht ab.

Trotzdem steht das Projektteam zu der Methode. In den vergangenen Jahren ist das Internet immer stärker zum Instrument psychologischer Arbeit geworden. Für von Brachel überwiegen die Vorteile: „Junge Frauen sind ohnehin online, und das Thema Essstörung ist ein sensibles, viele Teilnehmerinnen schämen sich.“ Also ist die Online-Variante, die nicht nur die meisten Adressaten findet, sondern auch eine, die Berührungsängste abfedert.

Nur der Name des Programms, die Comicfigur, das macht den Anschein, als verniedliche das Projekt das Problem. Tatsächlich finden manche Teilnehmerinnen den Namen albern. „Aber“, sagt von Brachel, „wir wollten das Thema entpathologisieren, es soll schließlich niemanden abschrecken“.

Informationen und Anmeldung unter www.ess-kimo.ruhr-uni-bochum.de

Leave a Reply