Troll-Psychologie: Wann der Ton im Social Web umschlägt – W&V

Leonard Reinecke forscht über Kommunikation im Social Web.
© Foto:Christof Mattes

Troll-Psychologie: Wann der Ton im Social Web umschlägt

Werden wir im Social Web immer nörgliger?  Warum das so ist, erklärt Leonard Reinecke. Er ist Psychologieprofessor an der Uni Mainz und forscht über Kommunikation im Social Web. WV Online sprach mit ihm darüber, was User dazu bewegt, überhaupt einen Kommentar abzugeben und unter welchen Umständen der Ton abgleitet.

Haben Sie den Eindruck, dass der Ton im Social Web rauer und beleidigender wird?

Leonard Reinecke: Die Einschätzung würde ich anekdotisch teilen.  Es gibt aber keine belegbaren, wissenschaftlichen Zahlen dazu. Vom Bauchgefühl würde ich aber zustimmen.

 

Welche Gründe könnte diese Veränderung denn haben?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die Kommunikationskultur selbst hat sich tatsächlich verändert, wir sind prinzipiell schneller aggressiv und bereit zu Flaming. Oder aber es ist lediglich ein harter Kern von "Lautsprechern" übrig geblieben, die eine höhere Motivation haben, sich zu äußern als andere, die sich nicht äußern. Es ist schwer zu sagen, was eher zutrifft, also ob die Kultur sich verändert hat oder die Zusammensetzung der Kommentatoren.

 

Welche Motivation steckt überhaupt dahinter, einen Kommentar zu schreiben?

Die Beweggründe, sich zu äußern, sind sehr unterschiedlich. Zum einen gibt es User, die sich dadurch einen Kompetenzerwerb erhoffen und über ein Thema mehr lernen wollen, indem sie Gedanken dazu formen. Sie können gleichzeitig ihre Kompetenz darstellen und bekommen positives Feedback. Auch die Medienkritik fällt in diese Kategorie. Dann gibt es diejenigen, die damit affektive, also emotionale Bedürfnisse befriedigen. Das Social Web ist eine Spielwiese geworden. Da gehört auch ein gewisser Eskapismus dazu, beispielsweise wenn ich lieber einen Artikel bei Spiegel Online lese und bewerte, obwohl ich eigentlich arbeiten müsste. Wiederum andere wollen soziale Motive befriedigen, sie wollen einen echten Diskurs anstoßen, mit anderen Leuten oder dem Journalisten in Kontakt treten und so ein Gemeinschafts-Gefühl erfahren. Oft bildet sich ja auch durch einen eingeschworenen Kern der Kommentatoren eine gewisse Community. Die letzte wichtige Motivation ist die Selbstdarstellung und die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Das Kommentieren dient dazu, sich intellektuell zu messen. Außerdem kann ich hier auch mal Meinungen zum Besten geben, die ich mich sonst in einem anderen Zusammenhang  nicht getraut hätte zu äußern.

 

Wann drohen denn diese Motivationen ins Negative zu kippen? Wann gleitet das ab?

Viele dieser möglichen Motivationen sind erst mal friedlich, sie haben gar nichts mit Flaming oder mit Polemik oder Aggressivität zu tun, sondern eher mit der Freude am Austausch oder dem grundsätzlichen Unterhaltungswert des Diskutierens. Natürlich werden dabei aber Themen, die von Haus aus kontrovers sind, auch mehr kommentiert. Hier tritt eine sogenannte "kognitive Dissonanz auf", d.h.: Jeder ist bestrebt,  mit den eigenen Einstellung im Reinen zu sein. Wenn wir auf Einstellungen treffen, die unserer Weltsicht nicht entsprechen, wollen wir diese gerade rücken.  Wenn es um emotionale Themen geht, die einen mehr berühren, dann wird auch die Reaktion emotionaler ausfallen. Da ist der Schritt zu einem aggressiven Tonfall nicht mehr weit.  Bei unverfänglichen Themen fällt es leichter, sachlich zu bleiben.

 

Aber prinzipiell ist die Hemmschwelle im Netz doch deutlich geringer?

Generell gilt für alle computervermittelte Kommunikation der sogenannte Online-Disinhibition-Effect, eine kommunikative Freizügigkeit. Die Hemmschwelle für Kommunikation, also auch für negative, aggressive Kommunikation, ist insgesamt herabgesetzt. Das sieht man im Social Web auch daran, dass Intimes oder Privates sehr viel leichtfertiger gepostet wird.

 

Liegt es auch daran, dass ich anonym handle?

Es gibt Studien darüber, dass das Aufkommen von Kommentaren in nicht-anonymen Forengeringer ist. In der Anonymität bleibt meine Kommunikation in der Regel folgenlos. Wenn ich aber Face-to-Face kommuniziere, muss ich immer die sozialen Normen im Blick haben, schauen, welche bleibenden Eindruck ich hinterlasse, mit möglichen Konsequenzen rechnen und halte mich deswegen zurück. Im Netz habe ich außerdem noch ein höheres Kontrollempfinden. Dort kann ich länger darüber nachdenken, was ich schreibe, wie ich mich darstelle. Diese wahrgenommene Kontrolle und Sicherheit lockert die Zunge bzw. die Tastatur.

 

Ein typischer Wikipedia-Schreiber ist männlich zwischen 30 und 40 und kommt aus einem Technikumfeld. Gibt es eine solche Typologie für Kommentatoren auch?

Es gibt meines Wissens keine repräsentative Studie dazu. Ich kann aber mutmaßen, weil wir aus allen anderen  Bereichen der Social Media wissen, dass es eher eine Minderheit ist, die Content in Form von User-Kommentaren produziert. Hier kommen wieder die unterschiedlichen Motivationen zum Tragen. Vielleicht kompensiere ich auch einen Mangel an Offline-Kommunikation. Das kann durchaus als Motivation wirken.

 

Aber die negative Motivation überwiegt?

Negative Motive sind die stärkeren Treiber. Viele User bringen das Committment nicht auf, sich zu äußern, wenn sie das Thema nicht berührt.  Wenn meine Sicht der Dinge aber der Darstellung des Journalisten  widerspricht, ist zum einen die Motivation höher,  mich überhaupt zu äußern, zum anderen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich kritisch bzw. negativ äußere.

 

Sind wir nun eine nörgligere Gesellschaft geworden?

Das waren wir doch schon immer! Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten decken Bedürfnisse ab, die wir früher auch schon hatten. Aber früher konnte man seine Opposition nur mit einem viel größeren Aufwand betreiben. Da musste man schon mit einem Banner vor die Konzernzentrale eines Unternehmens ziehen, um seinen Unmut kundzutun. Das hat natürlich kaum jemand gemacht und mitbekommen hätten die Aktion im Zweifel auch nur wenige. Heute ist das anders – heute erreiche ich mit einem Post auf einer Firmen-Website mit wenig Aufwand deutlich mehr.

 

Also sind wir die gleiche Gesellschaft, nur enthemmter?

Wir haben jetzt  andere Mittel an der Hand.  Das negative Kommentieren ist ja auch funktional. Das beinhaltet ja auch Chancen. Unternehmen können als Reaktion auf die Kunden-Beschwerden online ihren Service oder ihre Produkte verbessern.

 

Was raten Sie als Experte: Wenn ein Kunde oder ein Leser einen negativen Kommentar schreibt, muss ich dann als Medium oder Unternehmen immer darauf reagieren? Oder kann ich das auch mal vernachlässigen?

Nein, auch die Nicht-Nörgler schauen ja, wie gehe ich als Unternehmen mit den Nörglern um. Man muss sich dem schon stellen. Ich sollte als Unternehmen nur einen Mittelweg finden, um bei den Grundsatznörglern nicht zu tief einzusteigen, aber trotzdem ein Entgegenkommen zu signalisieren. Bei Kommentaren zu journalistischen Beiträgen ist dagegen häufig nicht in erster Linie der Journalist das Ziel des Kommentars. Es geht dem Kommentator oft eher darum, das Meinungsklima in seinem Sinne zu beeinflussen. Ich glaube, Reaktionen sind dort nur dann nötig, wenn sich der Kommentator direkt an die Redaktion wendet oder wenn der Journalist weitere Details liefern bzw. Inhalte richtigstellen kann.


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