Theater: Hormoneller Ausnahmezustand

Hormoneller Ausnahmezustand

22.01.2012 | 15:35 Uhr

Hormoneller Ausnahmezustand

Essen.  
Parodie statt Psychologie: Jan Demuths Jugendstück „Holger, Hanna und der ganze kranke Rest“ in Essen

Verliebte Jungs machen verrücktes Zeug. Schlucken Tofu-Bällchen statt Schnitzel. Gehen als Bewegungs-Muffel auf die Marathon-Strecke. Und kaufen ihrer Angebeteten neue Sportschuhe – sogar in der richtigen Größe. Dass dieser hormonell bedingte Ausnahmezustand ziemlich altersunabhängig ist, erzählt Jan Demuth in seinem Stück „Holger, Hanna und der ganze kranke Rest“, das in der deutschen Erstaufführung am Essener Grillo-Theater jetzt als ziemlich aufgekratzte Familien-Comedy daherkommt.

Ein Stück über Teenager soll es sein, das als Auftragswerk für das Theater St. Gallen entstand. Vom erzieherischen Impetus eines Grips-Theater ist Demuths Stück allerdings so meilenweit entfernt wie Holger vom Titel des Klassenstars. Gemobbt, geschubst, verlacht – so sieht man den 16-Jährigen anfangs im eingespielten Video. Holger ist bis zur Besinnungslosigkeit verknallt in die zwei Jahre ältere Schulhof-Schönheit Hanna. Doch während bei Holger nur die Hormone verrückt spielen, fühlen sich seine Eltern wegen der anstehenden Scheidung schuldig – und schleppen ihren Sohn zum Therapeuten.

Demuth, in Rheinhausen geboren, am Schlosstheater Moers und am Bochumer Schauspielhaus groß geworden und inzwischen in San Francisco lebend, versucht es mit Parodie statt Psychologie. Er nimmt den Ausnahmezustand Pubertät zum Anlass für eine heiter-ironische Betrachtung über Liebesirrungen und Familienwirrungen, die Heiner Kallmeyer mit greller Kostümierung (Silke Rekort) und kuriosen Requisiten (Bühne: Franziska Gebhardt) noch entschlossener ins Groteske treibt.

Holger, den Jannik Nowak mit überbordender Spiellust und augenzwinkerndem Charme spielt, gelingt dabei selbst im Elefantenkostüm noch Glaubwürdigkeit. Wie überhaupt das Ensemble viel rettet an diesem schnellen, eineinviertelstündigen Abend, der dem Beziehungs-Boulevard doch manchmal näher scheint als der Pubertäts-Problematik, denn Holgers Konkurrent im Rennen um die schöne Hanna (Girlie-gut: Silvia Weiskopf) ist ausgerechnet sein sportfanatischer Zahnarzt-Papa Gerhard, den Holger Kunkel kontrolliert überdreht. Während Bettina Schmidt als erleuchtungssüchtige Mama Verena zu Trash, Travestie und Gruselgebiss auch noch einiges an Scherz, Schmerz und tieferer Empfindung beisteuern kann.

Pädagogische Konzepte kennt der Abend nicht. Demuth verabreicht gegen jugendliche Gefühlsverwirrung viel Komik und wenig tiefere Erkenntnis.

Martina Schürmann

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