"Tetsch’n"-Sager: Autorität mit Herz und Hirn

Nachgefragt: "Versuchen, die Emotionen herunterzufahren"

Dr. Luise Hollerer leitet die Fachsektion "Pädagogische Psychologie" im Berufsverband der PsychologInnen Österreichs (BOEP).

KURIER: Was sagt eine Psychologin, wenn jemand für "Tetsch’n" in der Schule ist?

Luise Hollerer: Dass daran absolut nichts gesund ist und Gewalt nicht zu einer Erweiterung von Kompetenzen, sondern nur zu einer Einengung beiträgt. In einer emotionalen Situation muss versucht werden, die Emotionen herunterzufahren. Gewalt heizt sie nur weiter an und führt zu einem Flucht-Angriffs-Verhalten, das einer sozialen Umgebung wie einer Klasse nicht angemessen ist. Vor jeder pädagogischen Vermittlungsaufgabe steht die Regulation der Emotionen: Schüler können sich nur mit einem Stoff befassen, wenn sie in einem emotional ausgeglichenen Zustand sind. Pädagogen benötigen eine sehr gute psychologische Schulung: Sie müssen erkennen, wann bei ihnen selbst die Gefahr einer Überreaktion droht – und sie müssen dies bei ihren Schülern erkennen.

Sind Pädagogen dafür ausreichend ausgebildet?

Vor allem bei den an den Universitäten ausgebildeten Lehrern gibt es so gut wie keine Anleitungen, wie mit solchen sozialen Spannungen umzugehen ist. Bei der Ausbildung der Pflichtschullehrer ist das in stärkerem Ausmaß enthalten. Aber darüber hinaus wäre es wichtig, dass es mehr Supervision (eine auf die Arbeitssituation bezogene Beratung; Anm.) und Coaching in der Gruppe durch Psychologen gibt: Sind Pädagogen hingegen nur als Einzelkämpfer unterwegs, ist die Gefahr viel größer, dass es zu Überreaktionen kommt.

Woran liegt es, dass Probleme mit verhaltensauffälligen Schülern zunehmen?

Viele Kinder haben heute bei Schuleintritt wenig Kompetenzen im Umgang mit ihren Emotionen. Das hat vielfache Gründe: Häufig wird ihnen zu Hause weder zugemutet noch zugetraut, mit ihren emotionalen Spannungen umzugehen. Vielmehr wird sehr rasch auf ihre Wünsche eingegangen. Wenn ein Kind heute Hunger oder Durst hat, muss es nicht mehr warten, bis es zu Hause ist: Das Bedürfnis wird oft sofort mit Fast-Food am nächsten Straßeneck gestillt. Dadurch lernt das Kind aber nicht, mit emotionalen Spannungen umzugehen. Gerade das benötigt aber viel Übung. Diesen Entwicklungsauftrag muss dann die Schule übernehmen.

Was halten Sie von der Forderung von Lehrern nach mehr Durchgriffsrechten?

Ich glaube, es geht nicht so sehr um mehr Rechte. Was uns fehlt ist, dass sich ganz gezielt in einer Schule alle Beteiligten zusammensetzen und überlegen, wie sie unter einem Dach zusammenleben und miteinander umgehen wollen. Es muss demokratische, aber klare und bestimmte Regeln geben, was erlaubt ist und was nicht. Oft geforderte Time-Out-Klassen (verhaltensauffällige Schüler werden aus ihrer Klasse herausgenommen, Anm.) oder andere Maßnahmen sind nur dann sinnvoll, wenn sie von Experten wie Psychologen begleitet werden. Das muss alles gut wissenschaftlich konzipiert sein. Nur mit dem Finger zu schnippen reicht nicht aus.

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