Tabuthema Tod: „Man muss zuhören können“

Zuffenhausen - Wir wollen das Tabuthema Tod in die Öffentlichkeit bringen.“ So hat es Mary Kling betont, die 1999 in Zuffenhausen die ambulante Hospizgruppe gegründet hat. Der Suizid, die Selbsttötung, in der Alltagssprache meistens als Selbstmord bezeichnet, ist nach wie vor ein Tabuthema für viele.

„Wie können wir helfen, wenn jemand nicht mehr leben möchte?“, so lautete das Thema des Vortrages des promovierten Psychologen und Theologen Rolf Steinhilper, zu dem die Hospizinitative ins Franz-Josef-Fischer-Haus eingeladen hatte. Rolf Steinhilper, Pfarrer der württembergischen Landeskirche im Ruhestand, war unter anderem Studienleiter am evangelischen Pfarrseminar in Stuttgart und bis zu seinem Ausscheiden Rundfunkpfarrer. Er ist der Autor des Buches „Depression – Vertrauen finden und Hoffnung stärken“. Depression ist tatsächlich die am häufigsten auftretende psychische Erkrankung.

Warmherzig und mitfühlend berichtete Steinhilper aus seiner langjährigen Seelsorge- und Beratungspraxis. Wichtig sei vor allem Zuwendung, sich Zeit zu nehmen für ein Gespräch, mit dem Herzen dabei zu sein, der Respekt vor dem Gegenüber, das Zuhören. Alle seien aufgerufen, Menschen in Not beizustehen, das Thema des drohenden Suizides dabei nicht zu verdrängen. Auch die Telefonseelsorge leiste hier eine wichtige Hilfe.

Steinhilper zitierte die heilkundige Äbtissin Hildegard von Bingen. Sie hat im Mittelalter gelebt und gesagt: „Der Mensch als Zuhörer, der ströme ein Wohlwollen aus auf alle die da Sehnsucht tragen, das dem Elenden hilft, den Verlassenen tröstet, den Ermatteten aufrichtet.“ Der Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung habe einen Rat für Helfer so formuliert: „Öffne dich ganz für den, der dir gegenüber sitzt.“

Vielfältige Gründe für geplanten Suizid

Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hat die Selbsttötung als „nicht verarbeitete Aggression“ bezeichnet. Er betont, dass der Todeswunsch oftmals eigentlich einem anderen gelte. Steinhilper hat deshalb auch einmal einen jungen Mann nach dessen versuchtem Suizid so angesprochen. „Wen wollten Sie damit treffen?“ Und dieser habe ihm prompt einen Namen genannt, sich ausgesprochen. Es gibt neben einer depressiven Erkrankung weitere Gründe für einen geplanten oder ausgeführten Suizid: Alkohol- und andere Suchtprobleme, der Tod des Partners, Vereinsamung, eine unheilbare Krankheit.

Aber auch offensichtlich erfolgreiche, scheinbar gesunde und mitten im Leben stehende Menschen wie der Torwart Robert Enke haben den Tod gesucht. Ist der Grund in einer Art „Suizid-Gen“, wie Steinhilper es nennt? Es bleibt die Frage, warum manche Menschen schwerste Lebenskrisen durchstehen, während andere am vermeintlich guten Leben verzweifeln.

„Wir sind nicht Herr über Leben und Tod“

Der Philosoph Seneca hatte einst kritisiert, die Selbsttötung als Sünde zu bezeichnen. Weder Kirche noch Gesellschaft hielten sich an diesen Rat: „Bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhundert wurde der Suizid als ,Schandtat‘, als Sünde geächtet“, berichtet Steinhilper. Über Jahrhunderte durften Menschen, die sich das Leben genommen hatten, nicht auf Friedhöfen bestattet werden. „Noch vor 50 Jahren wurden keine Glocken geläutet, wenn ein Mensch bestattet wurde, der sich das Leben genommen hatte.“

Eine Zuhörerin fragte, wie man Angehörigen helfen könne, die sich Vorwürfe machten, dass sie den Tod eines Menschen nicht haben verhindern können. Steinhilper: „Der Suizid ist und bleibt eine Möglichkeit eines Menschen. Wir müssen das akzeptieren, so schwer das fällt. Wir sind nicht Herr über Leben und Tod.“

Leave a Reply