Suna: Eine Familiengeschichte mit Tiefgang

Der Plot ist schnell erzählt: Ein Baby, das nicht schlafen will; eine Mutter, die nicht weiß, wie sie ihrem Kind helfen kann. In den stillen Momenten der Nacht kommt sie auf die Idee, dem schlaflosen Kind eine Geschichte zu erzählen: eine Geschichte über einen anatolischen Eselhändler, einer serbischen Bauerstocher, von armen und reichen, jungen und alten Menschen, die mal voller Hoffnung sind, mal in Kriege verwickelt werden, mit Abenteuerlust auswandern, Familien aufbauen, Familien verlieren. Das Besondere an dieser nächtlichen Erzählstunde ist, dass Luisa ihre eigene Familiengeschichte erzählt.

So wird aus der Krise eine Chance: Die Mutter begreift, dass sie ihre Vergangenheit verstehen muss, damit sie mit ihrem Leben fortfahren kann. In vielen Kulturen der Welt herrscht der Glaube, dass die Kinder für die „Sünden“ ihrer Vorfahren büßen. So ähnlich ist es auch hier. Ihre kleine Tochter, die sie zärtlich mit kızım anspricht, findet keinen Schlaf, ehe ihre Mutter nicht die ganze Geschichte über die verzwickten Verbindungen und Ereignisse ihrer Familie verarbeitet. Luisa scheint die Kriegserfahrung ihrer Großeltern, die Migrationserfahrung ihrer Eltern, das Leben als Adoptivkind hinter sich gelassen zu haben, nur das letzte Puzzleteil muss noch an seinen Platz, damit sie mit der Vergangenheit abschließen kann.

Suna ist in einem eleganten, gediegenen Stil geschrieben, der Lust auf mehr macht. Die unterschiedlichen Schauplätze des Romans werden authentisch, detailtreu und liebevoll dargestellt. Das anatolische oder serbische Dorfleben wird genauso überzeugend beschrieben wie die Nachkriegsjahre in Deutschland. Die Figuren sind Menschen aus Fleisch und Blut, die man beim Lesen fast riechen kann – so realistisch wirken sie. Suna hat es nicht nötig Klischees zu bedienen oder Schönheiten einzubauen. Jeder findet in Suna etwas von sich wieder.

Die Autorin Pia Ziefle spricht mit Suna hochpolitische Themen an, ohne politisch sein zu wollen; berührt kontroverse Debatten, ohne eine gesellschaftliche Mission erfüllen zu wollen. Suna klagt nicht an, sondern erzählt unverfälscht ein Stück Europageschichte, die in Teilen ihre Familiengeschichte ist. Die autobiografischen Züge in Suna sind deutlich erkennbar und gehen stellweise unter die Haut.

Bereichernd, spannend, genüsslich zu lesen!



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